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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Teufel mich geritten hatte, als ich antwortete: »Ich wollte Sie auf ein Glas Wein einladen.«
    Sie fing an zu lachen. Ein so offenes Lachen, dass ich zusammenzuckte.
    »Hören Sie mal, ganz ehrlich, ich habe wirklich absolut kein Bedürfnis, mich anmachen zu lassen.«
    Ich runzelte die Stirn. Anmachen? Dazu wäre ich nie und nimmer fähig gewesen.
    »Aber ich mache Sie nicht an«, erklärte ich. »Ich möchte einfach ein Glas Wein mit Ihnen trinken …«
    »Ja? Und worauf?«
    »Nun, äh, ich weiß nicht. Wir gehen zur selben Psychologin.«
    Sie platzte los, lachte aus vollem Herzen, fast wie ein Kind. Die Tür schloss sich hinter ihr.
    »Worin besteht der Zusammenhang?«
    Ich war der Einzige, der darin eine logische Erklärung finden konnte. Ich versuchte trotzdem, es ihr darzulegen.
    »Wissen Sie, ich habe mir gesagt, wenn Sie Sophie Zenati, Psychologin, erster Stock links, aufsuchen, geht es Ihnen schlecht. Ich gehe auch zu ihr, und also geht es mir schlecht. Und deshalb habe ich mir gesagt, dass wir vielleicht etwas zusammen trinken könnten. Weil es uns beiden schlechtgeht. Denn wenn es einem schlechtgeht, tut es gut, das zu teilen, oder?«
    »Ach ja? Wenn es einem nicht gutgeht, geht man mit jemandem etwas trinken, dem es auch nicht gutgeht? Was für eine großartige Idee!«
    »Aber ja. Die glücklichen Leute teilen nicht.«
    »Ach, sind Sie unglücklich?«
    »Nicht direkt. Ich habe eine Dementia praecox.«
    »Und was ist das?«
    »Ich bin schizophren.«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Schizophren? Und Sie wollen, dass ich mit Ihnen etwas trinken gehe? Ich muss schon sagen, Sie verstehen es echt, mit Frauen zu reden.«
    »Nein, nicht sehr gut. Das gehört zur Krankheit. Kommunikationsstörungen …«
    Dieses Mal war ihr Lächeln ohne Spott. Sie konnte also lächeln. Ich erwiderte ihr Lächeln.
    »Und Sie, sind Sie unglücklich?«
    Sie zuckte die Schultern. Sie schien mich zu mustern.
    »Nein«, erwiderte sie schließlich. »Ich habe eine leichte Depression.«
    »Ah, tut mir leid. Aber ich übertrumpfe Sie«, sagte ich und vergrub meine Hände in den Taschen. »Schizophren ist schlimmer.«
    »Das ist übel.«
    Ich sah, wie sie zu lachen anfing. Schließlich war ich anscheinend doch nicht so ungeschickt.
    »Kommen Sie mit? Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Anstrengung es für einen Schizophrenen ist, jemanden auf einen Drink einzuladen.«
    Sie schüttelte den Kopf, hob die linke Hand und deutete auf ihren Ehering.
    »Ich werde erwartet.«
    »Ich verstehe«, sagte ich und senkte den Blick. »Entschuldigen Sie. Ich habe nur nicht häufig die Gelegenheit, jemanden zu treffen, und da oben bei meiner Psychologin habe ich mir gesagt, dass … Bah … Vergessen Sie's! Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag! Wir werden uns bestimmt da oben …«
    »Einen Augenblick«, unterbrach sie mich. »Wie heißen Sie?«
    Ich schluckte schwer. Ich gab mir große Mühe, meinen Blick nicht zum Trottoir schweifen zu lassen und den Kopf oben zu halten.
    »Ich glaube, ich heiße Vigo. Und Sie?«
    »Was heißt das, Sie glauben?«
    Ich kratzte mich am Kopf, unangenehm berührt.
    »In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt, an allem zu zweifeln, sogar an meinem Namen. Die einzige Gewissheit ist, dass dieser Name auf meinem Scheckheft aufgedruckt ist. Vigo Ravel.«
    »Ravel? Wie der Komponist?«
    »Ja. Und wie heißen Sie?«
    »Agnès.«
    Ich verbarg meine Überraschung. Ich hatte mit einem arabischen Vornamen oder auf jeden Fall mit einem exotischeren gerechnet …
    »Freut mich.«
    Ich reichte ihr die Hand. Sie drückte sie mit einer Behutsamkeit, die ich ihr nicht zugetraut hatte.
    »Gut«, sagte sie mit einem Seufzer. »Wenn Sie wollen, können wir über die Straße gehen und dort was trinken, aber ich warne Sie, ich habe nicht viel Zeit. Ich werde wirklich erwartet.«
    Ich konnte es kaum glauben. Soweit ich mich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass ich einer Unbekannten vorschlug, etwas mit mir zu trinken. Und es hatte funktioniert! Ich fragte mich unvermittelt, was ich mit ihr reden konnte. Sie zu einem Drink einzuladen war bereits eine Heldentat, aber jetzt musste ich auch eine Unterhaltung mit ihr bestreiten. Sofort geriet ich in Panik. Sie hatte es vermutlich bemerkt, denn sie berührte mich an der Schulter und sagte liebenswürdig: »Dort drüben ist ein Café, da sitze ich ab und zu, wenn ich zu früh dran bin«, sagte sie und deutete mit der Hand auf das Café.
    »Gut, gehen wir«, murmelte

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