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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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in eine verheiratete, depressive Frau. Glückwunsch! Ich glaube, Madame Zenati, Psychologin, 1. Stock links, wird dir auch gratulieren.
    Aber die Zenati war mir egal. Auch das Attentat vom 8. August war mir egal, genauso die Rue Miromesnil, Kraepelin und die Dementia praecox, Doktor Guillaume und meine geistige Verfassung. Nur eines zählte. Ich war fähig, mich zu verlieben. Verlieben. Auf der Erde, mit erhobenem Kopf, verliebt. Und ich fand das göttlich. Fast lustig. Die Worte eines Chansons fielen mir ein, deutlich, wie für mich geschrieben. Sur la terre, tête en l'air, amoureux, y a des allumettes au fond de tes yeux …
    Bald war ich mir sicher, dass all das niemals geschehen wäre, wenn ich die Neuroleptika nicht abgesetzt hätte. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass meine Handlungen nicht von einem Psychiater oder durch Medikamente bestimmt waren. Noch nie hatte ich Paris so schön gefunden. Noch nie hatte sich mein Blick so weit nach oben geschwungen.
    Als ich mit strahlendem Gesicht das Hotel betrat, sah mich der Mann an der Rezeption verdutzt an.
    »Na, was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er verblüfft. »Sie sehen heute so vergnügt aus.«
    »Ich habe gute Laune«, gestand ich.
    »Sie haben Glück. Moment, jemand hat das hier für Sie hinterlassen.«
    Er reichte mir ein weißes Kuvert, auf dem mein Name stand: Vigo. Ich runzelte die Stirn. Und plötzlich fiel ich wieder auf die Erde. Notlandung.
    Wer konnte mir eine Botschaft hinterlassen haben? Niemand außer meiner Psychologin wusste, dass ich in diesem Hotel wohnte.
    Mit zitternder Hand griff ich nach dem Kuvert.
    »Danke.«
    Unverzüglich riss ich den Brief auf. Er enthielt nur ein Blatt Papier mit ein paar handgeschriebenen Worten. Eine einfache Botschaft. Und ich musste sie mehrere Male lesen, um sicherzugehen, dass ich nicht träumte. Denn es war keine gewöhnliche Botschaft. Es war eine erstaunliche Botschaft, ja sogar erschreckend. Das Blut gefror mir in den Adern.
    »Monsieur, Ihr Name ist nicht Vigo Ravel, und Sie sind nicht schizophren. Finden Sie das Protokoll 88.« Lediglich unterschrieben mit ›SpHiNx‹.
    Ich hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Das Bewusstsein zu verlieren, in der kleinen Halle des Hotel Novalis.
    An einem einzigen Tag hatte mein Gehirn zu viele unterschiedliche Realitäten erfahren. Zu viele Informationen, zu viele Gefühle. Ich spürte die Gewissheit, völlig verrückt zu sein. Total verrückt.
    Der Hotelbesitzer starrte mich voller Misstrauen an. Ich senkte erneut den Blick auf meinen Brief und las erneut: »Sie sind nicht schizophren. Finden Sie das Protokoll 88.«
    Wer hatte das wohl geschrieben? Wer? Warum? Es ergab keinerlei Sinn. Das Protokoll 88? Was sollte dieser Blödsinn? Ich hätte am liebsten geschrien, um aus diesem bösen Alptraum zu erwachen. Aber es war kein Alptraum. Es war mein Leben. Das wirkliche. Ich hätte am liebsten den Hotelbesitzer gebeten, den Brief zu lesen und mir zu versichern, dass er echt war, aber ich konnte es nicht. Ich spürte, dass es nicht sein sollte. Das konnte auf keinen Fall eine Halluzination sein. Ich konnte das nicht erfunden haben. Das Protokoll 88!
    »Alles in Ordnung, Monsieur Ravel?«
    Ich zuckte zusammen.
    »Hm … Ja, ja, alles okay«, log ich.
    Abgesehen davon, dass ich vielleicht nicht Ravel heiße.
    »Schlechte Nachrichten?«, beharrte er.
    »Mehr oder weniger«, gab ich zu.
    Ich versuchte, mich zu fangen, steckte den Brief in meine Tasche, verabschiedete mich von meinem Gesprächspartner und ging eilig in mein Zimmer hinauf.
    In dem winzigen, allzu quadratischen Zimmer ließ ich mich schwer aufs Bett fallen. Ich legte mich auf den Rücken, die Hände hinter dem Kopf und starrte zur Decke. Zu dieser weißen Decke, die ich während meiner angstvollen Nächte stundenlang fixiert hatte. Sie war so weiß wie mein Kopf im Augenblick leer war.
    Ich stieß einen langen Seufzer aus. Diese Botschaft existierte nicht. Ich hatte sie erfunden. Ja, zweifellos. Das musste es sein. Er-fun-den. Doch ich fühlte das Papier in meiner Tasche. Den gefalteten Brief. Ich wusste, er war da, gegen meinen Schenkel gepresst. Wirklich da. Ich wusste, es genügte, die Hand danach auszustrecken und ihn wieder zu lesen. Aber um welchen Preis?
    Hatte ich ihn denn richtig gelesen? Vielleicht hatte ich ihn im Eifer falsch gelesen. Vor lauter Panik …
    Ich zögerte einen Augenblick, dann holte ich den Brief aus meiner Tasche. Ausgestreckt auf dem Rücken las ich ihn von

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