Das Kopernikus-Syndrom
ihr.
»Das ist in mein Hotel gekommen.«
Sie zögerte, dann öffnete sie das Kuvert und las die Notiz. Sie gab es mir zurück und wirkte bestürzt.
»Aber was soll das? Was hat das zu bedeuten?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Das ist eine Wahnsinnsgeschichte«, murmelte sie. »Eine Wahnsinnsgeschichte. Sie können das nicht für sich behalten.«
»Deshalb wollte ich ja mit Ihnen reden.«
»Aber Sie sollten nicht mit mir darüber reden. Sie müssen unbedingt einen Experten aufsuchen. Unbedingt!«
»Agnès, ich will mich im Augenblick nicht an irgendjemanden wenden. Ich traue niemandem mehr.«
»Aber mir vertrauen Sie?«
»Ja.«
Sie schaute mich aus großen Augen an.
»Aber Vigo, ich verstehe nicht, warum. Wir kennen uns kaum. Ich bin nur eine einfache Polizeibeamtin und außerdem ziemlich depressiv. Ich kann Ihnen nicht helfen. Ihre Geschichte überfordert mich. Und sie macht mir Angst. Sie müssen sich an Menschen wenden, die besser in der Lage sind, Ihnen zu helfen.«
»Nein. Agnès, ich vertraue Ihnen, Ihnen allein. Ich flehe Sie an, Sie müssen das respektieren. Ich muss zuerst einmal begreifen, was mit mir geschieht, und ich glaube, Sie können mir helfen, weil Sie mir glauben und weil … ich Ihnen ebenfalls glaube. Ich halte Sie für real. Sie sind die einzige Realität, die mir bleibt.«
»Egal! Sie kennen mich nicht. Wir haben uns zweimal bei der Psychologin gesehen und zusammen Kaffee getrunken. Ich weiß nicht, was das Vertrauen rechtfertigt, das Sie mir entgegenbringen.«
»Agnès, solche Dinge kann man nicht erklären.«
»Das ist doch vollkommen lächerlich! Nur weil Sie glauben, Sie haben, ich weiß nicht was, Atome oder so, die mit mir verhakt sind, oder einen ähnlichen Quatsch, wollen Sie auf mich zählen, damit ich Sie da raushole. Ich weiß nicht, was ich für Sie tun kann.«
»Mir glauben.«
»Bei den Beweisen, die Sie vorlegen können, werden Ihnen sogar die Behörden glauben. Sie brauchen mich nicht.«
»Vielleicht, aber ich glaube nicht an die Behörden. Sie können das alles meiner Paranoia zuschreiben, aber ich sehe überall Feinde.«
»Das ist doch Blödsinn! Sie glauben doch nicht, dass sich die ganze Welt gegen Sie verschworen hat! Sie können sich auch nicht allein aus dieser Geschichte raushelfen, weil noch andere Personen darin verwickelt sind. Dieser anonyme Brief … Man muss eine Ermittlung durchführen. Und Ihr Zustand … Ärzte müssen Ihren Zustand untersuchen.«
»Nein, Agnès. Ich bin jahrelang zum Psychiater gegangen. Das hat nichts gebracht. Und den Behörden kann ich nicht trauen. Nachdem diese Kerle in La Défense mich angreifen und überwältigen wollten, misstraue ich jedem. Ich kann niemandem mehr trauen. Nur Ihnen.«
»Aber Sie haben doch Familie, Freunde …«
»Nein. Meine Eltern sind verschwunden, mein Psychiater hat offensichtlich nie gelebt, wenn man den Leuten Glauben schenkt, die nach dem Attentat in La Défense gewesen sind, und mein Chef steht eindeutig auf derselben Seite wie die Kerle, die mich seit Tagen verfolgen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Merken Sie überhaupt, was Sie sagen? Auf derselben Seite.« Sie stieß einen langen Seufzer aus, dann blickte sie mir direkt in die Augen.
»Und wie, meinen Sie, könnte ich Ihnen helfen?«, fragte sie mit einer Stimme, die schon viel ruhiger klang.
»Ich weiß es nicht. Ich würde wenigstens gern versuchen zu verstehen, wie mir all das passiert ist. Wo sind meine Eltern? Wo ist der Psychiater, der mich betreut hat? Warum steht seine Praxis nicht auf der Liste der Firmen im SEAM-Turm? Wer sind die Kerle, die mich verfolgen, weshalb hat mein Chef sie auf mich gehetzt? Wer hat diesen anonymen Brief geschrieben? Wie kommt es, dass ich fähig bin, ein Auto zu fahren, obwohl ich mich nicht erinnern kann, es je gelernt zu haben? Ich muss Antworten auf all diese Fragen finden. Sie sind bei der Polizei. Sie müssten doch in der Lage sein, mir zu helfen, oder?«
Sie hob die Augen zum Himmel.
»Nein, aber Sie haben Wahnvorstellungen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich auf alle Fragen antworten kann? Glauben Sie denn, Sie sind im Film? Es wäre viel einfacher, sich an die Behörden zu wenden.«
»Agnès, zum letzten Mal, ich will das nicht. Nicht im Augenblick. Bitte, helfen Sie mir. Nur ein paar Tage lang. Nur so lange, bis ich herausgefunden habe, ob ich verrückt bin oder ob sich hinter der ganzen Geschichte etwas zusammenbraut. Bitte … jemand muss an mich glauben und
Weitere Kostenlose Bücher