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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Möglichkeit, eine Verbindung zur Realität zu knüpfen. Alles um mich herum war zusammengebrochen, mir blieb nur noch dieser eine Hoffnungsschimmer, in dieser Frau eine Seelenverwandte gefunden zu haben, eine Schwester, deren Hilfe und deren Blick genügen würden, mich davon zu überzeugen, dass ich nicht vollkommen verrückt war. Es war ziemlich gewagt, aber etwas anderes konnte ich nicht tun.
    »Agnès, ich muss mich Ihnen anvertrauen. Aber ich weiß nicht, ob Sie mir glauben können.«
    Sie blickte sich um, als fürchte sie, man könne uns hören oder uns zusammen sehen.
    »In welcher Hinsicht soll ich Ihnen glauben?«
    »Mir einfach nur glauben.«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Ich will es versuchen.«
    »Haben Sie mir geglaubt, als ich Ihnen sagte, dass ich Ihre Gedanken gehört habe?«
    Sie musterte mich schweigend. Dann kramte sie in ihrer Handtasche, holte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Zum ersten Mal wich sie meinem Blick aus. Ich gab nicht nach.
    »Haben Sie mir geglaubt?«
    »Ich … ich weiß nicht. Ich gestehe, dass es mich beschäftigt hat.«
    Den Ellbogen auf den Tisch gestützt, machte sie einen tiefen Zug, wandte mir den Kopf zu und versuchte, harmlos dreinzublicken.
    »Hören Sie zu, ich weiß es nicht, vielleicht haben Sie nur erraten, woran ich gedacht habe … reiner Zufall.«
    Sie leistete Widerstand. Ich konnte es ihr nicht übelnehmen. Was nicht sein kann, gibt man nicht gern zu. Ich beugte mich zu ihr und bedrängte sie mit einer leiseren, aber eindringlicheren Stimme.
    »Wie hätte ich erraten sollen, dass Sie mich mit Ihrem Onkel vergleichen? Das wäre doch ein verdammt seltener Zufall, meinen Sie nicht?«
    Sie verzog den Mund und vergewisserte sich erneut, dass uns niemand belauschte. Der Barmann und die Kellner waren trotz der späten Stunde ausreichend beschäftigt, um uns keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
    »Ja, ein verdammt blöder Zufall … Aber bleiben wir realistisch. Wie könnten Sie …«
    Sie senkte ihre Stimme.
    »Vigo, wie könnten Sie die Gedanken der Menschen hören? So was ist nicht möglich. Es muss eine rationale Erklärung dafür geben. Es tut mir leid, aber ich glaube nicht an übernatürliche Dinge, an irgendwelche Medien und all diesen Blödsinn.«
    »Aber Agnès, ich doch auch nicht. Nur muss ich mich den Tatsachen stellen: Auf irgendeine merkwürdige Weise höre ich gelegentlich die Gedanken der Menschen, die mich umgeben.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber sind Sie sich bewusst, was Sie da sagen? Das ist … das ist einfach surrealistisch.«
    »Aber genau das passiert mir. Es muss eine rationale Erklärung dafür geben. Und glauben Sie mir, ich würde sie gern erfahren.«
    Sie runzelte die Stirn und zog erneut an ihrer Zigarette. Ich zündete mir ebenfalls eine Zigarette an, als ob die Barriere aus Rauch, die sich zwischen uns bildete, unsere beiderseitige Verblüffung mit einem sittsamen Schleier bedeckte.
    Ein Kellner trat an unseren Tisch.
    »Madame, was darf ich Ihnen bringen?«
    Sie warf einen Blick auf meinen Whisky.
    »Das Gleiche«, sagte sie.
    Der Kellner nickte und brachte ihr in Windeseile ein Glas.
    Verlegen schwiegen wir eine Weile. Agnès trank von Zeit zu Zeit einen kleinen Schluck. Dann schwenkte sie ihr Glas und betrachtete es nachdenklich.
    Ich war noch ganz in ihre Betrachtung versunken, als ich erneut eine Migräne bekam. Ich verzog den Mund und rieb mir nervös die Stirn, die voller Schweißperlen stand.
    Agnès wandte sich mir zu und setzte sich aufrecht auf ihren Stuhl. Mein Blick trübte sich.
    »Sagen Sie, Vigo, Sie …«
    Sie hielt inne.
    »Ich was?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
    Sie blickte verlegen. Es fiel ihr schwer, in Worte zu fassen, was sie mich fragen wollte. Ich erriet, weshalb.
    »Und … ist alles in Ordnung?«
    Ich wischte mir erneut den Schweiß von der Stirn. Die Welt um mich herum hatte sich verdoppelt, in zwei völlig identische Filme, die nebeneinanderstanden.
    »Hören Sie im Augenblick auch Stimmen?«
    Ich hatte ihre Frage geahnt, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihr die Wahrheit sagen wollte. Ich fürchtete, dass sie mich für einen Verrückten halten könnte oder, noch schlimmer, für ein Ungeheuer, für ein Jahrmarktsgeschöpf. Aber ich brauchte auch ihr Vertrauen.
    »Ja«, murmelte ich.
    Sie runzelte die Augenbrauen.
    »Ja? Und was hören Sie?«
    Der Schmerz in meinem Kopf verstärkte sich.
    »Agnès, ich höre die Verworrenheit in Ihren Gedanken.«
    Sie lächelte

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