Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
aber schlafen gehen. Unten im Bettkasten ist eine Decke, fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Da ist das Bad, ich lege Ihnen ein paar Handtücher hin.«
    Ich nickte und versuchte zu lächeln, aber im Grunde war ich völlig hilflos. Ich war es nicht gewohnt, bei jemand anderem zu übernachten, so aufgenommen zu werden, und schon gar nicht von einer Frau. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, und fragte mich sogar, ob ich nachts schlafen könnte, denn die Vorstellung, nicht zu Hause sein, ängstigte mich sehr.
    »Agnès, vielen Dank für alles.«
    »Gern geschehen. Ich gehe morgen um 8 Uhr aus dem Haus. Sie können später losgehen, aber bitte nicht zu spät, denn ich möchte nicht, dass Luc Ihnen begegnet, wenn er seine Sachen holt. Lassen Sie einfach die Tür ins Schloss fallen. Ich rufe Sie abends an und erzähle Ihnen, was ich rausgefunden habe.«
    »Danke.«
    Es fiel mir schwer zu glauben, dass das alles real war. Dass diese Frau mir wirklich helfen wollte, dass wir beide die Absurdität der Lage akzeptierten. Aber ich hatte keine andere Wahl.
    »Und Sie können in eine Bibliothek oder in ein Internetcafé gehen und ein paar Recherchen anstellen.«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Warum nicht …«
    Sie schien überrascht zu sein, dass ich so wenig Begeisterung an den Tag legte.
    »Nun, Sie haben mir gesagt, Sie wollen Antworten auf alle Ihre Fragen, also müssen Sie selbst auch etwas tun.«
    »Nun … Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Sie könnten zum Beispiel versuchen, etwas über das Protokoll 88 herauszufinden, das in Ihrem anonymen Brief erwähnt wird.«
    »Einverstanden. Gute Idee.«
    Im Grunde erfüllte mich jedoch größte Panik bei dem Gedanken, am nächsten Tag ganz allein meine eigene Untersuchung zu beginnen. Ich fühlte mich völlig unfähig dazu. Aber sie hatte recht. Ich musste vorankommen. Da ich mich niemandem anvertrauen konnte, war ich gezwungen, mich selbst auf die Suche zu machen.
    »Bis morgen, Vigo. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Agnès, und nochmals danke.«
    Sie schenkte mir ein Lächeln und verschwand in ihrem Zimmer.
37.
    Moleskin-Notizbuch, Anmerkung Nr. 149:
Erinnerung, Präzisierung
    Ich sitze im Fond des Wagens. Ich bin es. Ich bin noch klein, nicht einmal ein Teenager. Ich erkenne die beiden Personen, die vorn sitzen, immer noch nicht, aber ich erinnere mich jetzt, dass es ein Mann und eine Frau waren. Und ich bin mir sicher, dass ich ihre Stimmen kenne.
    Der Mann sitzt am Steuer, er fährt schnell.
    Ich erkenne jetzt viel deutlicher die Landschaft um uns herum. In der Ferne, hinter den Klippen, sieht man das Meer. Ein grünes Meer, verdunkelt von den Wolken eines grauen Himmels.
    Ich wehre immer noch die lästige Fliege ab, die sich immer wieder auf meinem Arm niederlässt. Ich will, dass sie verschwindet, diese hartnäckige Fliege, die meine Aufmerksamkeit beansprucht, die mich daran hindert, zu hören, was die Leute vor mir reden. Aber ich kann nichts tun. Sie nervt mich.
    Ich nehme nur den Tonfall ihrer Stimmen wahr. Sätze werden hervorgestoßen, überschneiden sich. Sie diskutieren nicht. Sie streiten. Miteinander. Das ärgert mich. Genau wie die Fliege. Alles ärgert mich. Am liebsten würde ich schreien. Aber es ist wie in diesen Träumen, in denen einem die Töne im Hals steckenbleiben, in jenen Alpträumen, in denen die Beine sich zu laufen weigern. Ich kann nicht. Ich kann eine Erinnerung nicht ändern. Ich kann die Vergangenheit nicht neu schreiben. Ich bin lediglich ein Reisender in meinem lückenhaften Gedächtnis.
    Plötzlich hält der Wagen an. Ziemlich abrupt. Ich muss mich am Vordersitz festhalten. Ich höre den Sand unter den Reifen knirschen, dann das Tosen des Meeres. Der Fahrer hält auf einem Damm.
    Wir steigen aus dem Auto.
    Im Augenblick endet die Erinnerung hier. Ich höre den dumpfen Laut der schweren Türen, die zugeschlagen werden, eine nach der anderen. Und ich steige aus.
38.
    Nach dem Aufwachen brauchte ich ein paar Sekunden, bis ich wusste, wo ich war. Ich spürte einen leichten Schwindel, etwas wie Gleiten, wie Schwerelosigkeit. Dann erkannte ich Agnès' Wohnung. Die Nippsachen, die Unordnung, den Couchtisch, Scorsese und Woody Allen, die auf dem Teppichboden lagen … Ich fand keine Orientierung. Ich begriff, dass mein Zimmer mir fehlte. Mir fehlte seltsamerweise die Rue Miromesnil. Dort besaß ich Anhaltspunkte, meine Gewohnheiten, eine Art Versicherung. Aber ich war dieser Mann nicht mehr. Ich musste mich damit abfinden, nichts

Weitere Kostenlose Bücher