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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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unerträglich. Bald glaubte ich ein grelles Pfeifen zu hören, das immer stärker, immer unangenehmer wurde. Dann erfasste mich Übelkeit, und mir wurde schwindelig. Mehrere Male glaubte ich, mich übergeben zu müssen oder das Bewusstsein zu verlieren.
    Es soll nicht wieder anfangen!
    Ich war mir nicht sicher, ob mir das orangefarbene Sofa Unglück brachte, aber ich verspürte nicht das geringste Verlangen, die alptraumhaften Wahnvorstellungen vom Vortag noch einmal zu erleben. Ich musste mich unter Kontrolle bekommen. Ich richtete mich auf und versuchte, mein Schwindelgefühl zu unterdrücken. Aber keine Chance: Das Zimmer drehte sich, und mein Schädel drohte zu platzen, zermalmt von einem unsichtbaren Schraubstock.
    Da der Schmerz sich gleichzeitig mit meinem Widerwillen verstärkte, wurde mir bald klar, dass ich keine Anwandlung einer Wahnvorstellung, ja nicht einmal eine meiner Halluzinationen bekam, sondern eher unter Entzugserscheinungen litt. Lag es an den Neuroleptika? Nein, sie hatten keinen Gewöhnungseffekt. Es musste an etwas anderem liegen. Vielleicht an den Anxiolytika. Ich hatte schon zu lange keine mehr genommen, und sicherlich fing mein Hirn an zu rebellieren.
    Plötzlich packte mich die Wut. Ich stand vom Sofa auf und wühlte wie wild in meinem Rucksack. Aber ich wusste ganz genau, dass er keine Medikamente enthielt. Im Hotel hatte ich alle aus dem Fenster geworfen. Ich ließ den Rucksack auf den Boden fallen und rannte ins Bad. Da war Agnès' Apothekerschränkchen. Ich überflog schnell ihre Antidepressiva, entdeckte daneben eine kleine grünweiße Schachtel. Lexomil. Mit zitternder Hand griff ich nach dem Tablettenröhrchen. Dann schloss ich die Augen. Nein. Nein, das konnte ich nicht tun. Ich durfte es nicht tun. Ich hatte es mir geschworen.
    Erneut studierte ich den Inhalt des Schränkchens, ließ die Finger mehr nach rechts gleiten und griff nach einer Schachtel Aspirin. Eine einfache Aspirin. Ich nahm eine Tablette, kehrte in die Küche zurück und goss mir ein Glass Wasser ein. Ich schluckte die Tablette mit dem Wasser und streckte mich wieder auf dem Sofa aus.
    Der Schmerz war so bohrend, dass ich schrie, als ob mich das davon hätte befreien können. Ich hatte den Eindruck, dass mein Gehirn zerfloss, kochte. Da ich nicht bereit war nachzugeben, versuchte ich erneut, mich unter Kontrolle zu halten, zu kämpfen. Es ist nur ein kleiner Anfall. Ein ganz gewöhnlicher kleiner Anfall. Ich darf mich nicht wie gestern gehenlassen. Ich muss dagegen kämpfen. Ich konzentrierte mich auf alle anderen Körperteile und versuchte, so die Schmerzen zu betäuben. Schließlich bemühte ich mich, den Schmerz in meinem Kopf zu visualisieren, wie eine kleine grellrote Kugel. Ich stellte mir vor, wie sie explodierte, zersplitterte und sich langsam wieder zurückzog, wie eine Welle an einem langen Sandstrand. Ich stieß sie so weit weg wie möglich. Das durchdringende Pfeifen zwischen meinen beiden Trommelfellen wurde schwächer. Ich konzentrierte mich von neuem, wiederholte den gleichen Vorgang. Ich wollte mich von dem Schmerz befreien. Ihn als das erkennen, was er war: eine bloße Information in meinem Hirn. Ohne genau zu wissen, warum, fing ich an, den Satz, den ich im SEAM-Turm gehört hatte, zu wiederholen. »Transkranielle Augen, 88, die Zeit des zweiten Boten ist gekommen …«
    Immer wieder sagte ich diesen Satz auf, wie eine Litanei, langsam und jedes Wort betonend, »Transkranielle Augen …« Und seltsamerweise funktionierte es. Wie eine Zauberformel beruhigten mich diese Worte, die ich nicht verstand, sie halfen mir, nach und nach meine schreckliche Migräne zu vergessen. »…  die Zeit des zweiten Boten ist gekommen.« Und indem ich den Frieden in meinem Geist suchte, schlief ich schließlich, eingelullt von dieser geheimnisvollen Anrufung, ein.
44.
    Das Läuten meines Handys ließ mich hochschrecken. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Nein. Natürlich. Ich konnte die Zeit nicht erkennen, denn die Anzeige blinkte nach wie vor auf 88:88. Ich hatte sie nicht zur Reparatur gebracht, ich behielt sie an meinem Handgelenk, vielleicht aus Aberglauben, als geheimen Zeugen des Attentats, des Ereignisses, das ich miterlebt hatte.
    Ich schüttelte den Kopf und griff nach dem Handy. Auf dem Display erkannte ich, dass es 15 Uhr war. Ich hatte fast drei Stunden geschlafen. Meine Kopfschmerzen waren fast weg. Ich hielt das Handy ans Ohr.
    »Vigo?«
    Die Stimme am anderen Ende ließ mir das Blut in den

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