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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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verlockende Position ist, aber trotzdem. Alle Menschen zu lieben ist eine verdammt harte Arbeit! Und um das als Herausforderung zu verstehen, muss man nicht weit zurückgehen, bis zu Hitler oder Mussolini, denn ich habe zum Beispiel Schwierigkeiten, Doktor Guillaume zu lieben. Es geht ja gerade noch an, das materielle und moralische Los der Menschen zu verbessern, das lässt einem einen gewissen Spielraum, aber sie alle zu lieben …
    Ich frage mich, ob es das wirklich gibt, ob dieser Restaurantbesitzer ein echter, eingefleischter Menschenfreund ist. Und welches Opfer erfordert es, ein Menschenfreund zu sein?
    Vielleicht muss man Schritt für Schritt darauf zugehen. Etappenweise. Bevor man sie liebt, sollte man versuchen, sie zu verstehen. Und das fällt einem, wie ich immer betone, nicht leicht. Im Übrigen frage ich mich, ob es nicht umgekehrt ist. Ob es nicht leichter ist, einen anderen wie verrückt zu lieben, als ihn wirklich zu verstehen. Die echte Herausforderung wäre die absolute Anthropologie.
    Im Grunde genommen sind die Menschenfreunde vielleicht nur Faulpelze.
49.
    Bei der ersten Hälfte des Films konnte ich mich gar nicht auf das Geschehen auf dem kleinen Bildschirm konzentrieren. Ich schaute nur auf meine Hand. Diese Hand, die Agnès immer noch in ihrer hielt. Für mich war das eine Premiere. Eine weitere wunderbare Premiere. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte noch nie eine Frau meine Hand so gehalten. Nicht einmal die Frau, von der ich geglaubt hatte, sie wäre meine Mutter. Unwillkürlich stellte ich mir ängstlich tausend Millionen Fragen, die den Takt zu jedem Augenblick dieser so zärtlichen Berührung schlugen. Wie lange noch würde sie meine Hand halten? Würde es das einzige Mal sein? Und wie sollte ich diese Geste deuten? Liebte sie mich, obwohl sie gerade eine gescheiterte Ehe hinter sich hatte? Liebte ich sie? Hatte sie Verlangen nach mehr? Erwartete sie etwas von mir? Waren wir Freunde, würden wir Liebende sein? Würde ich ein Liebender sein können? Hielt man sich so die Hände? Lag in dieser Geste ein Sinn, eine Absicht, oder war es nur ein unbedachter Impuls? Eine Geste ohne Zukunft, wie ein Lächeln, ein Augenzwinkern, flüchtig, nicht greifbar …
    Ich hätte mich für immer damit begnügen können. Mit dieser Berührung der Finger, die mit meinen verschlungen waren. Ich hätte mich in eine Marmorstatue verwandeln können, um für alle Zeit nichts anderes zu sein als diese einfache Allegorie des Glücks. Zwei schweigende Menschen, deren verschlungene Hände eine Brücke bildeten, auf der sich ihre Seelen begegneten. Es war nichts und war doch alles. Eine unausgesprochene Verbundenheit zweier Menschen, die wortlos den Anschein erweckten, als seien sie eins.
    Ich war mir nicht sicher, was mein Herzklopfen bedeutete. Hatte ich Angst? War ich verliebt? Verlegen? Ungeduldig? Ich hätte nicht sagen können, was dieser zarte kleine Muskel ausdrücken wollte, aber eines war sicher: Mein Herz schlug höher.
    Dann zog sie langsam – denn das Glück erkennt man an seiner Endlichkeit – ihre Hand zurück.
    Agnès erhob sich, stellte den Film auf Pause und lächelte mich an. Ihre Augen glänzten, ihre Bewegungen schienen unsicher. Sie war bestimmt ein bisschen beschwipst.
    »Möchtest du etwas trinken?«
    Ich ballte die Faust.
    »Hm … Ja. Warum nicht?«
    »Ich hole mir einen kleinen Martini. Willst du auch einen?«
    »Gern.«
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging in die Küche.
    Ich starrte auf den Fernseher. Das unbewegliche Bild flimmerte leicht. Mia Farrow erstarrte und schien begierig darauf zu warten, dass das Leben weiterging. Nicht ihres, sondern meines. Ich spielte mit dem Gedanken, dass meine in den orangefarbenen Stoff des Sofas verkrallte Hand, die Agnès losgelassen hatte, die gleiche Angst spürte.
    Ich hörte Gläserklirren und Eiswürfel, die in Gläser getan wurden. Ich kann nicht erklären, was ich empfand, als ich wartete. Vielleicht hatte ich den seltsamen Eindruck, dass wir in eine neue Phase unserer Intimität eintraten. Agnès macht in der Küche ein Glas Martini für mich, während ich vor dem Fernseher sitze wie ein träger Ehemann. Es war vielleicht eine banale Geste, aber für mich dermaßen neu, dermaßen … sozial! Ich wurde so vieles auf einmal: ein Freund, mit dem man zu Abend isst, mit dem man redet, ein Mann, dem man die Hand hält, dem man einen Martini zubereitet … Ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war. Bereit, solch einfache Dinge zu

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