Das Kopernikus-Syndrom
mir, und ein anderer jagte mir solche Angst ein. Ich war mir nicht sicher, ob ich fähig war, diese Beziehung einzugehen. Und dennoch! Dennoch empfand ich für diese Frau, was ich noch nie für jemanden empfunden hatte. Die bloße Vorstellung, dass ich sie durch meine unabsichtliche Verweigerung gekränkt haben könnte, quälte mich. Und wenn das meine einzige Chance gewesen war?
Ich stieß einen Seufzer aus und erhob mich mit einem Ruck. Ich konnte nicht den ganzen Vormittag über diese Fragen nachgrübeln. Ich musste weiterkommen. Ich durfte nicht mehr daran denken. Schließlich hatte ich Besseres zu tun. Wir hatten Besseres zu tun.
Mit schwerem Kopf widmete ich mich jetzt dem, was Routine zu werden schien: Dusche, Frühstück und dann in Agnès' Arbeitszimmer Recherche im Internet. Wie sie vorgeschlagen hatte, versuchte ich, etwas über Doktor Guillaume herauszufinden. Aber erneut führte meine Suche zu nichts. Ich fand nichts, weder über die Praxis Mater noch über den Mann, der vorgab, seit etwa zehn Jahren mein Psychiater zu sein. Wenn man dem Internet Glauben schenkte, gab es weder die Praxis noch den Psychiater. Ich war nur mäßig überrascht. Seit mehreren Tagen hatte ich mich an die Vorstellung gewöhnt, dass diese Praxis weder legal noch offiziell existierte. Jahrelang hatte ich eine Geisterpraxis besucht. Doktor Guillaume, sofern er wirklich so hieß, war ein Betrüger. Allerdings war nicht klar, was ihn bewogen hatte, mich so lange zu betreuen. Und warum meine ›Eltern‹ mich zu ihm geschickt hatten.
Auch wenn es mich nicht überraschte, war ich wütend und zornig. Und nachdem ich in Agnès' Arbeitszimmer lange auf und ab gegangen war und auf nichts als meine Wut hörte, nahm ich den Zweitschlüssel und trat auf die Straße hinaus.
Ich fand den Porsche 911 von Monsieur de Telême und entdeckte grinsend zwei Strafzettel unter den Scheibenwischern. Ich zerriss sie und warf sie in den Rinnstein. Mein Chef würde sich wundern, wenn er die erhöhten Geldstrafen zahlen musste. Schadenfreude ist die schönste Freude.
Ich stieg in den Wagen und startete ihn. Ich war wieder überrascht, wie leicht mir das Fahren fiel. Als ob ich es mein Leben lang getan hätte.
Ich fuhr mit der festen Absicht, von Monsieur de Telême Erklärungen zu erhalten, zur Place Denfert-Rochereau. Ich war überzeugt, dass er viel mehr wusste, als er zugeben wollte, und ich war bereit, ihn ins Gesicht zu schlagen, wenn er mir nicht erklärte, wer diese Kerle waren, die mich verfolgten, und was Doktor Guillaume mit ihnen zu tun hatte. Ich wollte eine Antwort auf die ewige Frage jedes guten Krimis: Wer profitiert von dem Verbrechen?
Ich fuhr durch Paris und biss mir jedes Mal auf die Lippen, wenn ich Polizisten sah. Vielleicht hatte Telême gemeldet, dass sein Auto gestohlen worden war, und außerdem hatte ich keinen Führerschein und nicht einmal meinen Ausweis dabei; den hatte Agnès mitgenommen.
Trotz allem kam ich ungehindert zu dem großen Platz mit dem Löwen. Ich parkte in einer Nebenstraße und ging zu Fuß zu dem Gebäude, in dem sich die Büroräume von Feuerberg befanden. Als ich nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt war, erkannte ich, dass irgendetwas nicht stimmte.
Aus der Ferne sah ich, dass man das Firmenschild von der Mauer des Gebäudes entfernt hatte. Und zwei Männer schienen, genau wie vor meinem Hotel, den Eingang zu bewachen. Ich schaute zu der Etage empor, in der die Büros lagen, und sah viele Gestalten, die Möbel schleppten: Man war im Begriff auszuziehen. Auch wenn es noch so unwahrscheinlich schien: Genau wie bei der Wohnung meiner Eltern bemühte sich jemand, alle Spuren meines vergangenen Lebens auszulöschen.
Ich fluchte. Aber es war nicht der richtige Augenblick, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Die Hände in meinen Taschen vergraben, ging ich weiter, hielt den Kopf gesenkt und steuerte auf die andere Seite des Platzes zu. Als ich fand, dass ich weit genug entfernt war, wandte ich mich ein letztes Mal um. Die beiden Kerle standen immer noch vor dem Eingang, und ich wurde offenbar nicht verfolgt.
Ich warf die Schlüssel des Porsche in den Rinnstein. Es war nicht nötig, dass ich wegen dieses Autos Risiken einging. Trotz meiner Besorgnis beschloss ich, mit der Metro zur Place Clichy zu fahren.
Mit klopfendem Herzen ging ich die Stufen zur Metro hinunter, durch einen langen Gang, der zum Bahnhof führte. Er war fast menschenleer. Ich begegnete nur zwei Personen. Aber ein paar Meter
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