Das Kopernikus-Syndrom
Dienst. Einerseits trägt mir das viel Herablassung seitens der Kollegen ein, und wenn ich das Pech habe, einen Araber festnehmen zu müssen, betrachtet er mich als Verräterin. Und außerdem … habe ich nicht gerade den idealen Beruf gewählt, um der Depression zu entfliehen.«
»Neigten Sie vorher schon ein wenig zur Depression?«
»Nein, im Gegenteil. Ich bin nicht gerade in einem fröhlichen Haus aufgewachsen und wollte das ausgleichen, indem ich mich zum Glück zwang. Von klein auf habe ich mir immer eingeredet, dass ich nicht der deprimierte Typ bin. Doch eines Tages holt einen das ein. Ich hatte mir geschworen, niemals die Praxis eines Psychologen zu betreten. Und was war? Am Ende bin ich bei der Zenati gelandet.«
»Tut Ihnen das wenigstens gut?«
»Ich weiß es nicht mal! Das Verrückteste ist, dass ich einen echten Horror davor habe, auch wenn das paradox klingt. Ich habe Depressionen immer für einen westlichen Luxus gehalten, für eine Krankheit des Kleinbürgertums. Ein Teil von mir glaubt nicht mal an die Psychoanalyse. Und trotzdem muss ich, wenn ich mich schlecht fühle, die Zenati um Hilfe bitten. Ziemlich idiotisch, nicht wahr?«
»Nein. Idiotisch wäre es, aus Gründen der Scham, aus alten Prinzipien heraus, Ihrem Schmerz nicht die Stirn zu bieten, nicht wahr?«
»Vielleicht. Was ich mir vorwerfe, ist nicht die Tatsache, dass ich mich behandeln lasse, sondern die Gründe, aus denen ich leide. Sie sind … lächerlich.«
»Wirklich?«
»Im Grunde genommen ja. Unsere Gesellschaft treibt uns dazu, den kleinen Schmerzen der Seele viel zu viel Beachtung zu schenken. Schließlich konzentriert man sich darauf und misst ihnen mehr Bedeutung bei, als sie verdienen. Letztlich ist es eine Art allzu großer Nachgiebigkeit. Ich wäre froh, wenn ich die Kraft hätte, die Dinge zu ändern. Mich nicht mehr durch diese dauernde Selbstbeobachtung eingezwängt zu fühlen.«
Ich nickte langsam. Dauernde Selbstbeobachtung. Ich wäre der Letzte, der nicht wüsste, was das bedeutet.
»Ich frage mich, ob das alles nicht aus unserer Einsamkeit herrührt«, gestand ich ihr. »Dieses Bedürfnis, mit einem Psychologen über sich zu reden, ist im Grunde genommen nichts anderes als der Ausdruck einer Enttäuschung. Weil wir niemanden haben, der uns aufmerksam zuhört, niemanden, der uns richtig versteht. Nicht wahr? Also vertraut man sich einem Psychologen an und redet sich ein, dass er einen durch seine Professionalität und seine Objektivität versteht. Das beruhigt uns.«
Sie lächelte.
»Und damit kommen wir auf Ihre Angst um den Homo sapiens zurück«, warf sie ein und betrachtete mich amüsiert, »und auf das, was Sie in den Romanen von Romain Gary suchen. Das Nicht-Mitteilsame und all das.«
»Genau. Die Menschen laufen Gefahr auszusterben, weil sie sich nicht verständigen können …«
»Aber wir können uns verständigen, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt«, gab ich lächelnd zu.
»Also dann! Vielleicht werde ich Sie zwingen, mir die näheren Umstände Ihrer Angst zu erklären … wie haben Sie sie genannt?«
»Meine eschatologische Angst.«
Ein zweiter Kellner brachte uns die Vorspeisen. Er stellte sie behutsam vor uns ab und wünschte uns guten Appetit. Ich hatte mich für eine Gänseleber, halb durch, entschieden, Agnès für einen kleinen Gemüseauflauf mit frischem Ziegenkäse und Salbei. Nachdem wir eine Weile schweigend gegessen hatten, nahm ich das Gespräch wieder auf.
»Agnès, Sie haben mir noch immer nicht gesagt, in welcher Abteilung Sie arbeiten.«
»Ich bin Polizeileutnant im Hauptkommissariat des 18. Arrondissements. Ich kümmere mich vor allem um lokale Ermittlungen. Nichts Aufregendes, Einbrüche, Vandalismus …«
»Ich verstehe, eine echte Streifenpolizistin.«
»Genau. Und nicht wie in den Filmen.«
Ich grinste und widmete mich wieder meiner Gänseleber.
»Ich weiß nicht, was ich morgen unternehmen soll«, fuhr ich fort, um das Thema zu wechseln. »Meine Nachforschungen über das Protokoll 88 haben nichts ergeben.«
»Vielleicht könnten Sie in Richtung Ihres seltsamen Psychiaters suchen. Versuchen Sie, etwas über seine geheimnisvolle Praxis herauszufinden, über ihn selbst …«
»Warum nicht? Ich würde mir den Halunken gern kaufen.«
»Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich Ihren Ausweis analysieren und stelle Nachforschungen über die Bankkonten an, Ihres und das Ihrer Eltern.«
»Sehr gut. Macht es Ihnen nichts aus, wenn ich bei Ihnen wohnen bleibe?«
»Aber
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