Das Krähenweib
fürs Mittagessen bald losgehen. Zwischen die Hühner, Hunde und Katzen, die auf den Straßen herumliefen, mischten sich mehr und mehr Menschen. Frauen strebten mit Körben unter dem Arm dem Marktplatz zu, Männer in feinen Gehröcken unterhielten sich, Handwerker schleppten an Taschen mit Werkzeug und Laufburschen huschten zwischen den Passanten umher. Im Grunde genommen sah es hier aus wie in Walsrode und Berlin, nur die Anzahl der Kirchtürme, um die die Krähen fliegen konnten, unterschied sich.
Der Weg, den Annalena entlangeilte, war vom Regen aufgeweicht. Fuhrwerksräder hatten tiefe Rinnen im Boden hinterlassen. Über einige Pfützen musste sie springen. Schließlich bog sie in die Webergasse ein und entdeckte dort das richtige Geschäft.
Das Türschild war aus blankpoliertem Messing, in das die Lettern Goldt-Mohr feinsäuberlich eingeprägt waren. Den Schriftzug zu entziffern hätte Annalena viel Zeit gekostet, doch das Zunftzeichen des Schneiders war ein goldener Mohr, und da es in der Webergasse kein anderes Zeichen dieser Art gab, musste sie hier richtig sein.
Im großen Fenster neben der Tür stand eine Schneiderpuppe, auf die ein Kleid drapiert wurde. So etwas hatte es in Walsrode nicht gegeben. Einen Moment lang verlor sie sich im Anblick der Spitze und Perlen, dann trat sie ein.
Angelockt durch das Geläut der Türglocke trat ein Mann in den Verkaufsraum und sah sie überrascht an. Seine Augen waren grün wie eine regennasse Wiese und sein Haar so golden wie frisch geschnittenes Stroh.
»Guten Tag, meine Dame, was kann ich für Euch tun?«, fragte er und strich sich seinen Rock glatt.
»Ich … ich habe hier ein Schreiben. Aus dem Palast. Die Dame Fatime möchte Euch so rasch wie möglich im Palast sehen.«
Der junge Mann kam lächelnd auf sie zu und nahm ihr das Schreiben aus der Hand. Ein paar Krümel Wachs rieselten auf den Boden, als er das Siegel brach und dann die Nachricht las. Zwischen den Wörtern huschten seine Augen immer wieder zu ihrem Gesicht.
»Eine ziemlich große und eilige Bestellung. Dürft Ihr verraten, was der Anlass ist?«
Annalena schüttelte den Kopf. »Ich bin gerade erst in die Dienste Ihrer Majestät getreten.«
»Nun, wie mir scheint, hat er sich eine loyale Dienerin für seine Mätresse ausgesucht.«
»Ich muss gehen«, entgegnete Annalena, denn ihr wurde das Gespräch unangenehm. Außerdem erwartete die Kammerfrau doch sicher, dass sie gleich wieder zurückkehrte.
»Bleibt doch noch«, entgegnete der junge Mann. »Ich könnte Euch gleich ein paar Muster unserer Stoffe zeigen.«
»Ich glaube nicht, dass ich davon etwas verstehe«, wehrte Annalena ab, doch der Schneider wollte noch nicht aufgeben.
»Und wie seid Ihr in die Dienste der Türkin gekommen? Bei Eurem Haar könnte man glauben, dass Ihr eine Landsmännin seid.«
Annalena atmete tief durch. Früher hatte man sie für eine Zigeunerin gehalten, jetzt verglich sie jeder mit Fatime. Nicht, dass das nicht schmeichelhaft gewesen wäre, aber wenn das so weiterging, sagte man ihr bald eine Affäre mit dem Kurfürsten nach. »Ich komme nicht aus den Türkenlanden«, stellte sie also klar.
»Und woher kommt Ihr?«, hakte er sofort nach.
»Aus dem Schloss, das seht Ihr ja«, entgegnete sie kühl. »Ich muss jetzt wirklich gehen, sonst wird mich die Kammerfrau schelten.«
Der Schneider wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie war schneller und entwand sich ihm.
»Verratet mir wenigstens Euren Namen«, rief der junge Mann ihr hinterher, und einfach grußlos zu gehen, kam ihr doch sehr unhöflich vor. Also drehte sie sich noch einmal um und antwortete. »Annalena.«
»Gut, Fräulein Annalena, sagt Eurer Herrin, dass mein Meister und ich so schnell wie möglich zu Euch kommen und die bestellte Ware liefern werden.«
Er machte eine galante Verbeugung, die sie lächeln ließ, doch dann beeilte sie sich, aus der Tür zu kommen.
Es schien, als würde Friedrich Röber nur zu seinem Vergnügen über den Neumarkt schlendern, doch tatsächlich plagte ihn sein altes Magenleiden – und allerhand Gedanken. Früher hatte er sich mit Arbeit abgelenkt oder damit, Paul zu rügen, doch seit er Berlin verlassen hatte, blieb ihm nichts weiter übrig, als Spaziergänge einzulegen und zu versuchen, seine Gedanken in die rechte Ordnung zu bringen – und vielleicht eine brauchbare Apotheke zu finden, die ein Magenpulver hatte, das dem von Zorn in der Wirkung gleichkam.
Vor vier Tagen waren er und die beiden Preußen in
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