Das Krähenweib
trat von Annalena gefolgt ein. Ein süßer Duft strömte ihr entgegen, und wenn sie geglaubt hatte, das, was sie zuvor gesehen hatte, sei prächtig, so wurde dieser Eindruck von dem jetzigen noch einmal übertroffen. Das Gemach war ausgestattet wie das einer Königin. Die Einrichtung schillerte nur so vor Gold und Farben, und obwohl Annalena noch nie gehört hatte, wie türkische Fürsten lebten, so musste es in den Palästen des Morgenlandes ähnlich wie hier aussehen. Ob diese Räume wohl die eigentlichen Gemächer der Kurfürstin waren, die im selbst gewählten Exil auf Schloss Pretzsch an der Elbe weilte, aus Verbitterung über die Lieblosigkeit ihres Gatten und dessen Übertritt zum katholischen Glauben?
»Eure Durchlaucht möge die Störung verzeihen, aber ich komme auf Order Seiner Majestät. Er möchte Euch wohlmeinend ans Herz legen, dieses Mädchen als Magd aufzunehmen. Er meint, dass es eine erfreuliche Ergänzung Eurer Damen ist.«
Erst, als der Hofmarschall sich verneigte, nahm Annalena die Frauen wahr, die auf großen Kissen am Boden saßen. Über ihnen war ein großer Seidenbaldachin gespannt, der in allen Farben des Regenbogens leuchtete. Die Frauen selbst trugen allerdings keine orientalischen Kleider, sie waren in feine Seidenkleider gehüllt, die ein wenig ihrem Kleid ähnelten, nur dass sie keine Schürzen und Brusttücher darüber trugen. Sie musterten Annalena von Kopf bis Fuß, doch sie bemerkte es gar nicht, denn ihr Blick wurde unweigerlich von einer der Damen angezogen, die mit ihrem Aussehen zwischen den anderen herausstach wie ein Blutstropfen im Schnee.
Martha hatte nicht übertrieben, Fatime war wirklich sehr schön. Ihre makellose Haut hatte einen goldenen Ton, den sie nicht wie am Hofe üblich mit Schminke übertünchte, und ihre Augen waren mandelförmig. Solche Augen hatte Annalena noch nie gesehen, weder ihre Form noch ihre leuchtende dunkelblaue Farbe. Ihr Blick richtete sich nun unverwandt auf Annalena und blieb an ihrem Gesicht hängen, auch dann noch, als sie den Kopf senkte.
»Wie ist der Name dieses Mädchens?«, fragte eine der Damen, die wohl die Kammerfrau sein musste und damit für Fatimes Haushalt und die Dienerinnen zuständig war. Das überraschte Annalena, denn eigentlich hatte sie erwartet, dass Fatime sie ansprechen würde. Doch die betrachtete sie nur weiterhin, und Annalena fragte sich, ob sie ihre Sprache nicht beherrschte oder einfach nicht reden wollte. Letzteres könnte zu den fremden Gebräuchen einer Sultanstochter passen.
»Annalena Habrecht. Sie ist vor einigen Tagen in den Dienst Ihrer Majestät getreten und er fand, dass sie sich gut unter Euren Damen machen würde.«
Die Kammerfrau blickte zu Fatime, und diese nickte ihr zu. Das bedeutete wohl, dass sie einverstanden war. »Eine neue Magd kommt uns ganz recht!«, sagte daraufhin die Dame. »Richtet Ihrer Majestät unseren untertänigsten Dank aus, Herr Hofmarschall!«
Fatime nickte ihm zu, ohne ein Wort zu sagen, und der Hofmarschall verbeugte sich und zog sich zurück. Annalena blieb an der Tür stehen und wusste nicht recht, was sie jetzt tun sollte. Sie spürte, dass der Blick Fatimes unablässig auf sie gerichtet war, und ihr wurde ziemlich unwohl zumute, als sie sich wieder an das Geschwätz erinnerte, dass sie und Fatime vom gleichen Typ waren.
»Du wirst zum Goldt-Mohr in der Webergasse gehen und ihm dieses Schreiben übergeben«, sagte die Dame, die sie begrüßt hatte, im nächsten Moment und drückte Annalena einen versiegelten Brief in die Hand. »Beeil dich und sag dem Burschen dort auch, dass wir seinen Meister so bald wie möglich erwarten.«
Annalena nickte und nahm das versiegelte Briefchen an sich. Dann holte sie ihren Mantel und machte sich auf den Weg. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich den Dienst bei Fräulein Fatime etwas anders vorgestellt, aber wenn sie den Laufburschen spielen sollte, war es ihr ebenfalls recht. So brauchte sie nicht gegen die Befangenheit anzukämpfen, die sie angesichts der schönen und an das Hofleben gewöhnten Damen überkam.
Die Wächter hielten das Schlosstor weit offen, als erwarteten sie, dass eine Kalesche vorfuhr. Annalena schlüpfte an ihnen vorbei, jedoch nicht unbemerkt, denn einer der Soldaten pfiff ihr nach, was sie allerdings mit einem Lächeln hinnahm. Sie freute sich, dass jemand ihre Veränderung mit dem neuen Kleid bemerkte.
In der Stadt wurde es gerade geschäftig. Das Morgenmahl war verzehrt, nun mussten die Vorbereitungen
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