Das Krähenweib
sollte. Maria hatte ihren Schlaf also nicht ausgenutzt, um nachzuschauen, welches Geheimnis Annalena unter dem Stoff verbarg.
Doch spätestens als Fatime und ihre Damen auf den Beinen waren, hatte sie keine Muße mehr, sich wegen Maria zu sorgen. Die Damen mussten angekleidet und ihre Haartracht gerichtet werden. Annalena staunte wieder einmal darüber, wie gut die anderen Mägde mit einer Haartracht namens Fontange zurechtkamen, bei der ein Drahtgestell unter die Haare kam, auf dem die Locken drapiert wurden. Die Damen verzogen zwar ein paarmal die Gesichter, während die Mägde an ihren Haaren arbeiteten, aber keine von ihnen litt dermaßen große Schmerzen, dass sie aufschrie oder nach den Mägden schlug. Annalena blieb hierbei nur übrig, zu beobachten und Haarnadeln zu reichen, sie selbst würde solch eine Frisur sicher nie hinbekommen.
Ihre Freude über die kunstvollen Frisuren wurde ein wenig getrübt, als sie Fatime erblickte. Trotz des goldenen Schimmers ihrer Haut, wirkte sie bleich, und mehr als einmal ließ sie sich von der Gesellschafterin ein Fläschchen mit Riechsalz reichen. Ihr Aussehen beschwor in Annalena eine ungute Erinnerung herauf. Doch Zeit, um darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Schon hetzte man sie wieder durch die Gänge, um dies und das herzubringen, und schließlich wurden alle Mägde losgeschickt, um das Frühstück für die Damen zu holen.
Die Küche hier war leider bei weitem nicht so gut wie die im Dresdner Schloss, das merkte selbst Annalena, die nicht zimperlich war, wenn es um Speisen ging. Die Krapfen und die Milchgrütze hatten einen ganz anderen Duft als in Dresden, und es würde sie nicht wundern, wenn sich die Damen darüber beschwerten.
Sie war zwar bei dem Frühstück der Damen nicht zugegen, doch als sie abräumten, sah sie, dass Fatime ihr Gedeck kaum angerührt hatte. Das war an noch keinem Morgen zuvor der Fall gewesen. Hatte sie sich beim vergangenen Abendessen den Magen verdorben? Zu gern hätte Annalena Maria oder eine der anderen gefragt, ob Fatime einen schwachen Magen hatte, doch das wagte sie unter den Blicken der Kammerfrau nicht.
Nachdem die Damen mit ihren Vorbereitungen fertig waren, schickte man sich an, zur morgendlichen Andacht in die Schlosskirche zu gehen. Ihr Turm reckte sich prachtvoll und mächtig in den rosafarbenen Morgenhimmel. Tauben flatterten vom Dach auf und drehten eine Runde um das Schloss. Die Falken in den Käfigen witterten sie und kreischten laut, doch die kleinen Vögel wussten wohl, dass sie sicher vor den Räubern waren.
Annalena musste wieder daran denken, wie sie in der Walsroder Kirche neben dem Henkersgestühl stehen musste, weil man sie und auch alle anderen Henkersleute nicht zwischen den übrigen Gläubigen duldete. Sie hatte die Worte des Heils zwar deutlich vernommen, konnte aber keinen Blick auf den Altar werfen, und stets war es ihr so vorgekommen, als würde sie gar nicht richtig am Gottesdienst teilhaben können.
Hier war es anders. Obgleich sie in der hinteren Reihe sitzen musste, konnte sie den Altar sehen und sogar das Antlitz des Herrn Jesus auf dem Kreuz dahinter. Ob der Gottesdienst katholisch oder protestantisch abgehalten werden würde, war ihr einerlei. Endlich würde sie die Worte hören können, ohne ausgeschlossen zu sein. Endlich konnte sie darauf hoffen, dass Gottes Gnade auch sie erreichen würde.
Ein heller Aufschrei riss sie aus ihren Gedanken. Als Annalena aufblickte, sah sie gerade noch, wie Fatime zu Boden sank. Welchen Grund es dafür gab, wusste sie nicht, doch im Gegensatz zu den anderen Damen, die erschrocken einen Satz nach hinten machten, lief sie zu ihr.
In diesem Augenblick dachte sie nicht darüber nach, dass es ihr als einfacher Magd nicht erlaubt war, die königliche Mätresse ohne Erlaubnis zu berühren. Sie hockte sich vor die Türkin, barg ihren Kopf auf ihrem Schoß und strich sanft über ihre Schläfen. Ihr Atem ging unregelmäßig, und ein beißender Geruch deutete darauf hin, dass sie sich kurz vor dem Fall übergeben hatte.
»Holt Riechsalz!«, rief sie den anderen Frauen zu, die vor Verwunderung gar nicht daran dachten, sie für ihr Verhalten zu schelten.
Doch im nächsten Moment kam Fatime wieder zu sich, und ihre dunklen Augen trafen Annalenas graue. Plötzlich überfiel sie ein Krampf. Annalena deutete ihn richtig und drehte sie zur Seite, damit sie sich erneut erbrechen konnte. Während die Gesellschafterinnen beinahe angewidert auf die Mätresse herabschauten,
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