Das Krähenweib
nicht so, als wärst du noch immer nicht wach«, raunte Mertens ihr zu. »Ich kenn dich. Du hast mich vielleicht vorher getäuscht, aber jetzt nicht mehr, Anna.«
Annalena bewegte sich noch immer nicht. Und sie machte auch keine Anstalten, die Augen zu öffnen. Sie wollte, dass er nach ihr griff, wollte, dass er ihr nahe kam.
»Ich werde dich an einen Haken hängen, dann wirst du schon wach werden.«
Als er sich über sie beugte, um sie an den Schultern zu packen, riss Annalena ihre Beine hoch und trat mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, in seine Magengrube.
Überrascht von dem Angriff taumelte Mertens zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel gegen den Tisch, auf dem er die Instrumente für sie vorbereitet hatte. Ein lautes Klirren ertönte, als einige von ihnen zu Boden fielen. Schneller, als er es für möglich gehalten hätte, war Annalena auf den Beinen. Ihre Füße nicht zu fesseln war ein Fehler gewesen, wie Mertens jetzt einsah.
»Offenbar kennst du mich nicht gut genug!«, fauchte Annalena und lief zu dem Schwert, das ebenfalls auf dem Boden gelandet war.
Mertens rappelte sich mit einem Wutschrei auf. »Du verdammte Hure, dir drehe ich den Hals um!«, schrie er, doch da war das Richtschwert schon in ihrer Hand. Obwohl ihre Hände zusammengebunden waren, schwang sie es mit überraschender Geschicklichkeit über den Kopf. Das Schwert war eigentlich viel zu schwer für sie, aber in diesem Augenblick wütete der Hass so tief in ihr, dass er ihre Arme erstarken ließ.
Mertens wich zur Seite aus und griff nach einem langstieligen Haken, der in seiner Reichweite war. Damit parierte er die Hiebe der Frau, die wegen ihrer fehlenden Muskeln nicht sehr kräftig ausfielen.
Annalena kreischte in hilflosem Zorn. Sie spürte, dass sie unterliegen würde, wenn sie Mertens nicht bald überwältigen konnte.
Als der Henkersknecht merkte, dass ihre Arme erlahmten, stieß er ein triumphierendes Lachen aus. »Wenn ich dich erwische, werde ich dir die Haut vom Körper schälen wie die Schale von einem Apfel.«
Annalena schlug wieder nach ihm, doch durch das Gewicht des Schwertes wurde sie zur Seite gerissen. Für einen kurzen Augenblick war ihre Seite ungeschützt, und Mertens nutzte ihn aus, um ihr mit dem Haken eine Wunde in den Arm zu fetzen.
Der Schmerz peitschte von ihrem Arm in ihren ganzen Körper. Lange halte ich nicht mehr durch, ging es ihr angstvoll durch den Sinn. Mit aller ihr noch verbliebenen Kraft holte sie aus und führte einen Streich gegen Mertens’ Hals.
Diesmal konnte er nicht zurückweichen. Ein Schwall Blut schoss aus seinem Hals hervor. »Du verdammtes Miststück«, gurgelte er. »Ich schlitz dich auf!« Er schleuderte den Haken von sich und griff nach seinem Messer.
Das Blitzen des Messers versetzte Annalena in eine verzweifelte Rage. »Du wirst mich nie wieder anfassen!«, schrie sie ihn an, riss das Schwert hoch und schlug erneut nach ihm.
Mertens versuchte, zu parieren, doch das gelang ihm nicht. Der Stahl riss eine tiefe Wunde in seine Schulter. Der Blutverlust ließ ihn taumeln und schließlich ging er zu Boden.
Annalena bemerkte es nicht. Nach diesem ersten Schlag, holte sie wieder und wieder aus. Sie konnte nicht denken oder sich selbst zur Zurückhaltung zwingen. Nur zwei Worte tönten in ihrem Geist: Nie wieder! Ihr kam es vor, als würde sie diese Worte laut schreien, doch ihrem Mund entwich kein einziger Ton.
Irgendwann glitt ihr das Schwert aus der Hand und sie sank zu Boden. Als sie ihre blutigen Hände ansah und dann den Blick zu Mertens’ Leiche hob, kam sie wieder zur Besinnung.
Was habe ich getan, fragte sie sich entsetzt, als sie zurückprallte.
Der Blick ihres Mannes war bereits erstorben, eine Spur Überraschung war noch darin zu sehen. Sein Kopf war nicht ganz abgetrennt, aber zum größten Teil. Die Adern und Sehnen waren zerfetzt, ein paar Wirbel schauten aus dem Rumpf. Eine riesige Blutlache breitete sich rasch unter seinem Körper aus und tränkte seine Kleider.
Annalena drehte sich der Magen um und sie übergab sich. Der Anblick würde sie gewiss in ihre Träume verfolgen.
Aber ich lebe, ging es ihr durch den Sinn, als sie die Reste der Galle, die sie hervorgewürgt hatte, ausspuckte. Ich lebe und ich habe vielleicht noch die Gelegenheit, Johann zu retten.
Am ganzen Leib zitternd wandte sie sich dem Fenster zu. Es war mittlerweile dunkel, aber vielleicht war es noch nicht zu spät.
Sie warf keinen weiteren Blick auf den Toten. Der Blutlache
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