Das Krähenweib
Gedanken an Johann und das kommende Gespräch mit Fürstenberg, gewahrte sie die Bewegung in den Schatten neben ihr nicht. Eine Gestalt schoss plötzlich vor.
Einen Atemzug später traf ein Schlag Annalenas Kopf. Sterne explodierten vor ihren Augen, dann wurde alles um sie herum schwarz. Ihre Beine versagten den Dienst und knickten ein. Dass ihr Körper auf dem Boden aufschlug, spürte sie schon nicht mehr.
Peter Mertens blickte mitleidlos auf den reglosen Körper vor sich. Ein eisiges Lächeln verzerrte seine Züge. Eigentlich war er auf dem Weg zur Schenke gewesen, wie die Preußen ihn angewiesen hatten. Doch das Bündel, das er abholen sollte, war nicht da, wo es sein sollte. Es lief schon auf dem Marktplatz vor ihm weg. Aber jetzt hatte er sie endlich!
Er beugte sich zu Annalena herunter. Wie hübsch sie doch ist, wenn sie wie tot daliegt, ging es ihm durch den Sinn. Wie leicht wäre es, ihr mit dem Knüppel den Rest zu geben. Doch das war keine angemessene Rache für die Schmach, die sie ihm bereitet hatte. Sie sollte leiden, schlimmer als je zuvor!
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie wirklich noch lebte, hob er den schlaffen Frauenkörper mühelos in die Höhe. Wenn ihm jemand begegnete, würde er behaupten, dass sie sein betrunkenes Weib war.
Es traf sich gut, dass der Henker und die anderen Knechte heute nicht in der Ratsfronfeste zugegen waren. So konnte er Annalena die ganze Nacht lang quälen und ihr erst im Morgengrauen den Gnadenstoß versetzen.
Der Schwarze Gang hatte seinen Namen daher, weil sich sein Eingang in einem aus schwarzen Brettern gezimmerten, länglichen Gebäude neben der Festungsmauer befand.
Durch die dunkle Hütte wirkte der gesamte Abschnitt der Mauer unheimlich, und obwohl dies ein Ort war, an dem sich niemand gern aufhielt, und von dem auch niemand vermutete, dass hier ein Geheimgang ins Schloss führen könnte, wurde er doch besser bewacht als das Schlosstor.
Es hatte die beiden Preußen einige Dukaten gekostet, sich überhaupt in der Nähe der Hütte aufhalten zu dürfen. Normalerweise achtete die Schildwache darauf, dass hier niemand herumlungerte, aber durch ein kleines Bestechungsgeld und die Behauptung, dass sie sich dieses seltsame Gebilde aus Neugierde ein wenig näher anschauen wollten, hatten sie Zeit gewonnen.
»Einen Weg hinein werden wir wohl nicht finden«, sagte Marckwardt, nachdem er sich das Gebäude eine Weile besehen hatte. »Wir sollten warten, bis sie rauskommen.«
Röber nickte beipflichtend, während er sich nach allen Seiten umsah. Ihm war unbehaglich zumute, nicht nur wegen des kalten Wetters, das sich von klarem Frost in eine feuchtkalte, von Nebel durchzogene Brühe gewandelt hatte. Auch die Gefahr, dass sie bei ihrer Tätigkeit entdeckt werden könnten, zerrte an ihm. »Dort hinten gibt es gutes Buschwerk, hinter dem wir uns verbergen können.«
Schultze nickte. »Also gut, verbergen wir uns dort. Vielleicht gelingt es uns, Böttger abzufangen, bevor er fortgebracht wird.«
Röber blickte hinauf zum Stadtwall. Nicht mehr lange, dann würde die Wache wieder hier entlangschreiten und sie mussten zusehen, dass sie sich schnell verbargen. Die vergangenen Stunden hatten sie darauf verwandt, in aller Eile die Details ihrer Unternehmung zu planen.
Die wichtigsten Vorbereitungen hatten sie schon bei ihrer Ankunft hier getroffen. So hatten sie einige Gehilfen gedungen, die ihnen beim Abtransport ihrer menschlichen Beute helfen würden. Momentan mussten sie auf dem Weg hierher sein. Außerdem wartete ein kleines Boot auf sie, das sie über die Elbe bringen würde. Am anderen Ufer stand dann eine Kutsche parat, mit der sie ins Brandenburgische reisen würden. Wenn ihnen das Glück hold war, würden sie in ein paar Tagen die Tore Cöllns durchqueren und ihren Fang beim König abliefern.
Ein Lächeln zog sich über Röbers Gesicht, wenn er daran dachte, mit welchen Ehren er überschüttet werden würde – vom Kopfgeld mal abgesehen, das die ihm zustehenden Schulden begleichen würde. Doch als Kaufmann wusste er, dass man seine Rechnung erst nach Abschluss des Geschäfts stellte. Und bis jetzt war es immer noch möglich, dass dieses Geschäft überhaupt nicht zustande kam. Wenn alle Stricke rissen, konnte er sich hoffentlich immer noch aus dem Staub machen. Bei aller Liebe zu seinem König war er doch nicht bereit, wegen Spionage in Ketten gelegt zu werden.
Ein Schwarm Krähen zog krächzend über die Mauer hinweg und lenkte Röbers Gedanken
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