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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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würde er die Stadt mit seinem Mantel aus Schwärze und Sternenlicht umhüllen.
    Diese Stadt war sicher viel größer als Walsrode. So war die Straße, an der sich das Haus des Händlers befand, sogar gepflastert. Wie das Kaufmannshaus aussah, wusste sie nicht, aber bestimmt ähnelte es den prächtigen Gebäuden in der Nachbarschaft. Als sie Schritte auf der Treppe hörte, wandte Annalena den Blick ab und kehrte ins Bett zurück. Wenige Augenblicke später klopfte es an die Tür, und Annalena bat ihren Besucher herein.
    Sie im Bett sitzen zu sehen, überraschte Seraphim. »Euch scheint es wieder ein Stück besserzugehen«, sagte er, als er die Tür hinter sich schloss.
    Wie immer trug er einen ärmellosen Mantel über seinen Kleidern. Der Schmutz an seinen Stiefeln deutete darauf hin, dass er gerade von draußen kam.
    »Das tut es«, entgegnete Annalena und zog sich die Decke bis zur Brust hinauf. »Ich habe eben ein paar Schritte gewagt.«
    »Das freut mich«, entgegnete der Händler gütig. »Gewiss werdet Ihr in ein paar Tagen wieder ganz die Alte sein.«
    Annalena nickte und fragte sich, ob es jetzt so weit war. Wollte der Händler wissen, was geschehen war? Warum sie am Wegrand zusammengebrochen war? Wollte er eine Erklärung für die Narben?
    »Fühlt Ihr Euch stark genug, heute Abend zum Essen runterzukommen?«, fragte Seraphim. »Ich habe etwas Besonderes aus dem Holländerviertel mitgebracht.«
    Annalena nickte, während sich das ungute Gefühl in ihrer Magengrube verstärkte. Gewiss weigert sich seine Ehefrau, mir weiterhin das Essen zu bringen.
    »Gut, dann kleidet Euch an. Wir erwarten Euch unten.« Damit verließ der Händler den Raum wieder.
    Annalena starrte ihm kurz nach, dann stieg sie erneut aus dem Bett. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich anzog.

    Wenig später saßen sie zusammen am Tisch. Maria schöpfte ihnen einen festen gelben Brei in die Schüsseln.
    »Das sind Tartuffeln«, erklärte Seraphim und nahm einen Löffelvoll. Das Mus war so weich gerührt, dass man es für frisch geschlagene Butter halten konnte. »Seltsame Gewächse mit violetten und weißen Blüten, die von englischen Seefahrern aus der Neuen Welt mitgebracht wurden. Unsere Kurfürstin Luise Henriette hat sie eingeführt, als sie ihre Landsleute hier angesiedelt hat. Ich hatte von den Holländern so viel Gutes darüber gehört, dass ich welche mitgebracht und Maria gebeten habe, sie zu kochen. Sie waren so gut, dass wir uns jetzt immer welche von den holländischen Bauern holen. Viele Leute hier denken, sie sind giftig, aber ich habe mir erklären lassen, dass dies nur für die Früchte oberhalb des Bodens gilt. Die Wurzeln sind sehr schmackhaft.«
    Mehr noch als die Ausführungen über die Tartuffelpflanze weckte der Begriff »Neue Welt« Annalenas Interesse. Sie konnte damit nichts anfangen, doch so, wie der Händler diese Worte aussprach, klangen sie nach weiter Ferne.
    »Wo ist diese Neue Welt?«, fragte sie, nachdem sie vorsichtig von dem Mus probiert hatte. In der Tat schmeckte es wundervoll, sogar besser als Grütze.
    »Auf der anderen Seite der Erdkugel, könnte man sagen. Amerika nennt man sie nach einem italienischen Seefahrer, der sie entdeckt hat.«
    »Und wie sieht es dort aus?«
    »Nun, dort wachsen Bäume und fließen Flüsse wie hier. Doch die Menschen haben eine rote Haut und schmücken sich mit Federn. Viele beten furchterregende heidnische Götter an und essen rohes Fleisch von gewaltigen Tieren, die sie Bison nennen. Jedenfalls hat mir das einer der Holländer erzählt. Er hat diese Menschen mit eigenen Augen gesehen.«
    Annalena schob sich einen weiteren Löffelvoll Tartuffelmus in den Mund und ließ ihre Gedanken schweifen. Würde ein Meer ausreichen, um Mertens davon abzuhalten, ihr zu folgen? Diesen Gedanken verwarf sie allerdings gleich wieder. Sie wollte nicht in ein fremdes Land und erst recht nicht in eins, das am anderen Ende der Welt lag. In deutschen Landen wusste sie zumindest, was sie zu erwarten hatte.
    Es dauerte eine Weile, bis Annalena bemerkte, wie ruhig es am Tisch geworden war. Als sie zur Seite sah, fiel ihr der stille Blickwechsel zwischen Maria und ihrem Ehemann auf. Auf einmal fühlte sich der Brei in Annalenas Magen so schwer an, als hätte sie einen Stein verschluckt. Sie ließ den Löffel sinken.
    »Wir haben uns gefragt, woher Ihr kommt, Annalena«, begann Seraphim, wie sie es befürchtet hatte. »Wir kennen Euren Namen, aber es wäre

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