Das Krähenweib
die zu mir kommt. Ein Kind trägst du nicht, so viel ist gewiss. Kann es sein, dass du keine empfangen kannst?«
Annalena erstarrte. Bislang war sie noch auf keine weise Frau getroffen, die Kinderlosigkeit sehen konnte. Auch die Witwe Gennings hatte das nicht vermocht. »Es geht wirklich nicht um mich«, wich Annalena aus. »Das Mädchen heißt Marlies. Sie hat ein Kind empfangen und ist verschwunden. Ich dachte, dass sie vielleicht Euren Rat gesucht hat.«
Der Blick der Alten wurde prüfend. »Du meinst, ob sie hier war, um sich das Balg wegmachen zu lassen?«
Annalena nickte.
»Glaubst du wirklich, ich würde etwas tun, was mich der Hölle preisgibt?«, fragte sie daraufhin.
Sie will mich prüfen, dachte Annalena. Sie will wissen, ob ich von jemandem geschickt wurde, der ihr Übles will.
»Nein, aber ich glaube, dass es Eure Absicht ist, Frauen zu helfen, deren Umstände nicht glücklich sind. Meine Freundin war in sehr unglücklichen Umständen, in die sie wahrscheinlich unschuldig geraten ist.«
»Unschuldig?« Die Engelmacherin lachte und entblößte dabei einen für ihr Alter ziemlich beachtlichen Bestand an Zähnen, die allerdings wie die von alten Pferden mit der Zeit beinahe braun geworden waren. »Ich kenne kaum ein Weib, das unschuldig in diese Umstände kommt, es sei denn, sie wird mit Gewalt genommen.«
»Es war nicht freiwillig, ich kann es bezeugen«, entgegnete Annalena und sah ihr geradewegs in die Augen. »Vor Gott oder dem Teufel, wie Ihr wollt.«
»Ich sehe, du fürchtest mich nicht«, sagte die Alte nachdenklich. »Nun denn, es geht um deine Freundin. Lass dir gesagt sein, Namen sind in meinem Gewerbe Schall und Rauch, Mädchen, ich frage nie danach, und wenn ich es täte, wären es nur falsche Namen. Aber ich kann mich an jedes einzelne Gesicht erinnern. Kannst du sie mir also beschreiben?«
Das tat Annalena. Als sie geendet hatte, überlegte die Frau eine ganze Weile.
»Es gibt viele Mädchen, die auf diese Beschreibung passen könnten«, sagte sie schließlich. »Doch wenn sie gestern Nacht erst verschwunden ist, kann ich sie nicht gesehen haben, denn heute war keine bei mir, die verlangt hätte, dass ich ihre Frucht austreibe.«
Annalena konnte der Frau ansehen, dass sie die Wahrheit sagte. »Wenn sie in den nächsten Tagen hier auftaucht, würdet Ihr mir Bescheid geben? Ich bin Magd beim Kaufmann Röber und es wäre nur …«
Die Alte hob die Hand und ihre Antwort war ebenso ehrlich wie das zuvor Gesagte. »Nein, wahrscheinlich würde ich es nicht tun. Ich bin den Frauen, die zu mir kommen, verpflichtet, ich kann ihr Vertrauen nicht brechen. Das verstehst du gewiss.«
Annalena nickte. Im Grunde genommen hatte sie nichts anderes erwartet. Auch bei der Witwe Gennings waren Geheimnisse sicher gewesen, und sie selbst wusste nur allzu gut, wie es war, wenn niemand das eigene Geheimnis erfahren durfte.
»Habt trotzdem vielen Dank«, sagte sie daher, und verließ dann die Hütte. Der Blick der Alten brannte in ihrem Rücken, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Johann wartete draußen an die Hauswand gelehnt. Ob er durch das Fenster gespäht hatte, wusste Annalena nicht, aber er kam auf sie zu, sobald sie das Haus verlassen hatte.
»Weiß sie etwas?«, fragte er.
Annalena schüttelte den Kopf. »Sie behauptet, Marlies sei nicht hier gewesen.«
»Vielleicht versucht deine Freundin, erst an Geld zu kommen. Oder sie ist woandershin gegangen. Ich kenne sicher nicht alle Engelmacherinnen in der Stadt, diese hier ist die Einzige, von der mir etwas zu Ohren gekommen ist. Schließlich bin ich kein Mann, der seine Bälger in den Tod schickt.«
Das war ehrenwert, half ihr aber nicht viel. Seufzend blickte sie sich um. Wo sollte sie sonst noch suchen? Würde es etwas bringen, den Nachtwächter nach Marlies zu fragen?
»Wohin willst du nun?«, fragte Johann, als sie sich wieder in Bewegung setzte.
»Keine Ahnung«, entgegnete sie niedergeschlagen.
»Vielleicht sollten wir zurückgehen. Berlin ist eine große Stadt und Cölln liegt gleich nebenan, das Mädchen könnte also sonst wo sein.«
Zu diesem Schluss war sie auch gekommen. Auf dem Rückweg schwiegen die beiden die meiste Zeit. Annalena versuchte, Herrin ihrer Gedanken zu werden, die wie Blätter in einem Herbststurm durch ihren Kopf wirbelten. Hätte sie Marlies einen Rat geben sollen, wie sie das Kind loswerden konnte? Von ihrem Vater und auch der alten Lübzer Wehmutter kannte sie Bäder und Tränke, doch nie hatte
Weitere Kostenlose Bücher