Das Krähenweib
glaubte sie, den Ort, an den Marlies gegangen war, zu kennen.
»Ich werde sie suchen gehen«, eröffnete sie Hildegard später, als alle Arbeit erledigt war. »Vielleicht hat sie sich irgendwo Hilfe gesucht.«
»Du meinst, sie ist zu einer Engelmacherin gegangen?«
»Möglich wäre es«, entgegnete Annalena. »Ich werde mich ein wenig umhören, vielleicht haben sie sie in einer der Schenken gesehen oder sie ist dem Nachtwächter über den Weg gelaufen. Ich glaube nicht, dass sie die Stadt verlassen hat.«
Hildegard starrte sie einen Moment lang an, als hätte sie nicht verstanden, was sie gesagt hatte. Dann nickte sie. »Nun gut, geh, Mädchen. Wenn du sie triffst, sag ihr, dass sie sich hier nicht wieder blicken lassen soll.« Sie versenkte ihre Hand in der Schürzentasche und streckte ihr ein paar Münzen entgegen. »Einen Lohn kann sie vom Herrn nicht erwarten, aber diese hier helfen ihr vielleicht ein wenig.«
Annalena steckte das Geld ein, warf sich ihr Schultertuch über und strebte dann der Hintertür zu.
»Sei vorsichtig, in der Nacht ist allerlei Volk unterwegs«, rief Hildegard ihr in ungewohnter Sorge nach, dann tauchte Annalena in die Dunkelheit ein.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie mit der Suche beginnen sollte. Die Schenke, in der sie bei ihrer Ankunft hier vorgesprochen hatte, kam ihr in den Sinn. Die Wirtin wusste gewiss über allerhand Bescheid, und vielleicht war Marlies sogar bei ihr aufgetaucht.
Sie zog ihr Tuch enger um die Schultern und lief in Richtung Gasthaus. Unterwegs torkelte ihr ein Mann entgegen, doch er war dermaßen betrunken, dass er sie gar nicht zur Kenntnis nahm.
Der Lärm der Schenke drang ihr bereits entgegen, als sie plötzlich das Gefühl hatte, jemand würde sie beobachten und verfolgen. Die alte Angst vor Mertens wallte in ihr auf, doch dann hörte sie eine bekannte Stimme rufen: »Ihr scheint wirklich eine Vorliebe für nächtliche Spaziergänge zu haben, Jungfer Annalena!«
Annalena wirbelte herum. »Johann«, rief sie freudig aus, zwang sich dann aber zur Zurückhaltung, denn sie war der Meinung, dass dies angesichts der Lage nicht angebracht war. »Das Gleiche könnte ich von Euch behaupten.«
Johann neigte den Kopf, griff dann galant nach ihrer Hand und drückte einen Kuss darauf.
»Wir scheinen beide Nachtschwärmer zu sein. Was führt Euch diesmal auf die Straßen? Da Ihr nicht in der Nähe der Apotheke seid, nehme ich mal an, dass es diesmal nicht um medizinischen Rat geht.«
Annalena schüttelte den Kopf. »Marlies ist verschwunden.«
»Die Magd, mit der du arbeitest?« Dass Johann so plötzlich zur vertraulichen Anrede überging, verwunderte sie ein wenig, doch es war ihr nicht unangenehm.
»Ja. Sie hat herausgefunden, dass sie in anderen Umständen ist, und heute Morgen war sie verschwunden.«
Johann, der sonst leicht zum Schalk neigte, las von ihrer Miene ab, dass sie es ernst meinte, und verkniff sich einen spöttischen Kommentar. »Sie wird eine Engelmacherin aufgesucht haben. Oder sie hat sich den Vater vorgeknöpft und ihn dazu gebracht, sie vom Fleck weg zu heiraten.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Annalena und überlegte kurz, ob sie ihm von Röber erzählen sollte. Doch da er mit dem Kaufmann sogar ausritt, schwieg sie besser. »Aber das mit der Engelmacherin könnte stimmen. Weißt du, wo man hier solch eine Frau finden kann?«
Johann brauchte nicht lange zu überlegen. »An der Mauer gibt es eine, in der Nähe der Fronerei. Sie geht im Haus des Henkers ein und aus und soll in allerlei Zauberkünsten bewandert sein. Es heißt, dass sie schon die eine oder andere Jungfer von ihrem Übel erlöst hat.«
Annalena überlegte, ob Marlies von dieser Frau gewusst haben könnte. Möglich wäre es, denn sie war schon längere Zeit hier in Berlin. »Dann lass uns zu ihr gehen«, sagte sie.
»Du sorgst dich anscheinend sehr um deine Freundin«, entgegnete Johann. »Oder bist du selbst in anderen Umständen?«
»Natürlich nicht!«, gab Annalena entrüstet zurück. »Es geht mir wirklich nur um Marlies. Sonst würde ich dich wohl kaum bitten, mit mir zu kommen.«
»Hast du das denn schon?«, entgegnete Johann grinsend, steckte einen Finger ins Ohr und tat so, als wäre es verstopft. »Ich muss es überhört haben.«
»Rede nicht und komm mit!«, sagte sie kopfschüttelnd und fasste ihn bei seinem Jackenärmel. »Ich habe keine Ahnung, wo die Fronerei ist.«
»Nun, wenn das so ist, kann ich deinem freundlichen Gesuch natürlich keine Absage
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