Das Krähenweib
verdunkelt hatte, lichtete sich. »Ihr braucht nicht oben nachzusehen, da ist er nicht.« Gestützt von seinem Gehilfen erhob er sich nun vollständig.
»Und wo kann er sein?«, fragte der Hauptmann verwundert.
Röber antwortete nicht darauf. Mit der Gewissheit, dass die beiden nicht zu Fuß geflohen waren, strebte er der Hoftür zu. Und stieß einen unchristlichen Fluch aus, als er sah, dass sein Wagen fort war.
Der Morgen zog langsam von Osten über die Stadt. Annalena blickte in den heller werdenden Schein und spürte Schweiß auf ihren Handflächen, in denen die Zügel des Pferdewagens lagen.
Sie hatte das Fuhrwerk gestern Nacht in die Gasse gelenkt, in der sich auch das Henkershaus befand. Dort hielt sie sich im Schatten. Die Nähe der Fronerei und des Hexenhauses schien eine magische Wirkung zu haben. Die Wachen, die nach Johann suchten, verirrten sich nicht hierher. Annalena vernahm ihre Schritte in den Seitenstraßen und rechnete damit, dass sie jeden Augenblick vor ihr auftauchen würden. Doch sie zogen weiter.
Aber jetzt, wo der Froner gleich sein Tagwerk beginnen würde, ließ sie die Pferde mit einem leisen Zungenschnalzen angehen. Johann steckte kurz seinen Kopf unter dem Segeltuch hervor, und die beiden verständigten sich mit einem stummen Blick. Der Wagen rumpelte langsam über die ausgefahrene Straße. Fuhrwerke, die diesen Weg zuvor genommen hatten, hatten tiefe Spuren in dem harten Boden hinterlassen, die selbst ein Regenguss nicht mehr glätten konnte.
Nach einer Weile erreichte Annalena das Tor. Zwei andere Fuhrwerke warteten dort bereits. Die Wagenlenker kümmerten sich nicht um sie. Sie erwarteten jeden Augenblick den Glockenschlag, der sie aus der unfreiwilligen Starre erlöste.
Annalena hielt nach den Torwächtern Ausschau, aber die saßen wohl noch immer in der Wärme ihrer Wachstube. Die Minuten verrannen zäh, und wäre nicht die voranschreitende Dämmerung, hätte man meinen können, die Zeit stünde still.
Plötzlich tönte das Glockenläuten über sie hinweg. Eine Schar Tauben, die es sich auf dem Tor gemütlich gemacht hatte, flatterte über die Fuhrwerke hinweg in die Stadt hinein. Die Torwächter kamen nun aus ihrer Unterkunft. Ihre Uniformen saßen ein wenig unordentlich, wahrscheinlich hatte sie erst das Läuten geweckt. Mit trägen Bewegungen schoben sie den großen Riegel beiseite und öffneten die Torflügel. Rufe ertönten, dann rollten die Wagen nacheinander durch den Torbogen. Annalena schlug das Herz bis zum Hals, als sie sich den Fuhrwerken vor ihr anschloss.
»He, schönes Kind!«, rief plötzlich einer der Wächter und sie hielt erschrocken die Luft an. »Willst du es dir nicht noch mal überlegen und hierbleiben?«
Annalena tat, als hätte sie ihn nicht gehört. Bitte, flehte sie, wenn du meine Gebete hören kannst, bitte, lass ihn von mir absehen.
»Lass sie fahren, in der Stadt gibt es genug Weiber«, rief der zweite Wächter.
Sie schloss erleichtert die Augen, dann fuhr sie unter dem Torbogen hindurch. In der Ferne stiegen einige Krähen von einem Feld auf. Annalena folgte ihnen.
13. Kapitel
A us den geheimen Aufzeichnungen des Johann Friedrich Böttger:
Den Mauern Berlins entkommen, fühle ich mich so frei wie schon seit langem nicht mehr. Gewiss, meine Zukunft und die von A. ist ungewiss, aber wenn dem Körper keine Fesseln mehr anliegen, hat der Geist auch Möglichkeiten, sich neue Ziele zu ersinnen.
Ich habe mich entschlossen, nach Wittenberg zu gehen, einer Stadt im Sächsischen. Dort lebt ein alter Freund meines Bekannten Kunckel, Kirchmaier ist sein Name. Er ist ordentlicher Professor an der dortigen Universität. Ich bin mir sicher, dass Kunckel meinen Namen ihm gegenüber schon erwähnt hat, und auch wenn ich nicht glaube, dass er als Gelehrter der Alchemie zugetan ist, wird er als guter Christenmensch einen Verfolgten sicher nicht abweisen.
Seit ich aus Berlin fort bin, überlege ich mir, wie das Leben eines Gelehrten wohl aussehen könnte. Bin ich dazu wohl geschaffen? Ist ein Forscher denn etwas anderes? Unter dem Deckmantel eines Studiums könnte ich meine Experimente weiterführen, bräuchte aber nicht zu befürchten, dass mir jemand auf die Schliche kommt. In Wittenberg kennt mich niemand, und ich denke auch, dass die Nachrichten aus Berlin nicht bis dorthin vorgedrungen sind.
Ich könnte mich wohl dem pharmazeutischen oder chemischen Studium verschreiben, ich könnte auch Philosophie studieren oder Medizin. Doch eine Entscheidung
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