Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
bis er schließlich einschlief – und von ihr träumte. Nun war sie tatsächlich eine Prinzessin mit goldenem Diadem, die er zu retten hatte. – Klischees? Wohl denn: Erik hatte sich klischeehaft verliebt…
Kapitel VIII
Die „Rising Sun“ wiegte sich leicht in den niedrigen, langgezogenen Wellen. Wilkins oblag es an diesem Vormittag, den alten Fischkutter zu steuern, während Jack Jardine es sich in den Kopf gesetzt hatte, seinem Sohn die Handhabung des Sextanten seines Großvaters zu lehren. Sie standen schon eine ganze Weile an Deck, wobei sie abwechselnd durch das wertvolle Stück sahen. „Hol die Sonne auf den Horizont herunter, Jaques,“ sagte der Vater, „wenn ihre Unterkante den Horizont berührt – aber nun sieh schon hindurch, wenn ich mir doch den Mund fusselig rede!“ Jaques hatte für einen kurzen Moment das Instrument sinken und seinen müden Blick über das Wasser schweifen lassen, riß es jedoch alsbald wieder hoch, heftete es an sein rechtes Auge, während er das linke fest zusammenkniff und tat wie ihm geheißen.
„Ah, bon! Wenn also ihre Unterkante den Horizont berührt,“ begann Jack wieder, „wenn das Gestirn nicht weitersteigt, dann hat es seinen Zenit erreicht und wir haben zwölf Uhr mittags.“ „Tatsächlich“, staunte der Junior, dem das für einen Vormittag alles ein wenig viel Theorie gewesen war. Ihn quälte eigentlich nicht die Handhabung des Sextanten, da er den richtigen Umgang mit dem Instrument rasch begriff, sondern es brachte ihn vielmehr die Rechnerei der sich anschließenden Positionsbestimmung und das Studieren scheinbar unzähliger Tabellen zur Verzweiflung. Der Vater sah ihm dieses Unbehagen an. Er sagte darum lachend, dem Jungen dabei freundschaftlich auf die Schulter klopfend: „Packen wir das schöne Teil weg, genug für heute – jetzt ist erst mal Picknick auf offener See angesagt!“
Sie verwahrten den Sextanten in dem dazugehörigen Lederetui und begaben sich in den Bauch des Kutters, wo sie das Mittagessen zubereiteten: Büchsenfleisch mit Dosengemüse und Nudeln. Keiner der drei Abenteurer war Gourmetkoch und wollte für die jeweils anderen den Job eines Smutjes übernehmen. Doch Jack Jardine, der alte Cajun, legte Wert auf Schärfe im Essen, weshalb er Chili-Schoten nebst anderen Gewürzen an Bord gebunkert hatte, mit denen er „den faden Büchsenfraß“, wie er sich auszudrücken pflegte, gelegentlich kräftig nachwürzte. Das brachte allerdings Wilkins zur Raserei, so daß beschlossen wurde, ihm vor dem Zugeben der Chilischoten seine Portion abzuschöpfen.
Gegessen wurde an Deck, denn es war ein herrlicher Frühsommertag. Auch Wilkins gesellte sich mit seinem Teller, welcher eher ein Napf war, zu den beiden Jardines und genoß mit ihnen die Sonne. Das Steuer hatte er vorher festgestellt, damit sie nicht von ihrem Kurs abkommen würden, während sie speisten.
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Es war gerade die dritte Stunde nach Mitternacht angebrochen. Alle waren längst zu Bett, als Luise Bühler plötzlich starke Schmerzen im rechten Unterbauch fühlte, die sie mitten in der Nacht hatten aufwachen lassen. Auch war ihr auf einmal speiübel, als müsse sie sich jeden Moment übergeben. Sie biß die Zähne zusammen und wollte aufstehen, um etwas Wasser zu trinken, doch die Pein, die sie beim Auftreten verspürte, entlockte ihr einen Aufschrei, der augenblicklich ihren Mann, welcher neben ihr noch fest geschlafen hatte, im Bett hochfahren ließ. „Was ist denn los, Luise?“ fragte er ganz verwundert, da er aus der Situation nicht schlau zu werden vermochte, bekam aber ernste Sorgenfalten auf der Stirn, als er ihr schmerzverzerrtes Antlitz im fahlen Mondschein, der durch das Fenster fiel und den kleinen Raum einigermaßen erhellte, sah.
„Bauchschmerzen, Liebling, bloß Bauchschmerzen“, versuchte sie ihn zu beruhigen, doch Martin sah sie ungläubig an und entgegnete: „Von Bauchschmerzen pflege ich nicht zu schreien – und Du auch nicht, Luise! Ich werde sofort Hilfe holen.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da war er auch schon dem Nachtlager entstiegen, in seine Hosen geschlüpft und – das Hemd noch unter dem Arm – zur Türöffnung ihres Wohncontainers hinaus. Stella, längst wach, rieb ihre kalte Schnauze an Luises Oberschenkeln und winselte kaum hörbar – wohl weil sie fühlte, daß ihre Halterin Schmerzen litt.
Luise hatte gar nicht die Gelegenheit zur Widerrede gehabt, aber sie wußte auch, daß es ohnehin sinnlos gewesen wäre, ihren Mann
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