Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
beiden Händen und leerte es in einem Zuge, so daß Wassilij anerkennend mit dem Kopf nicken mußte.
Für einen Augenblick fühlte sich Erik besser, dann jedoch, nach etwa fünf Minuten, wurde ihm so speiübel, daß er seinen gesamten Mageninhalt alsbald zuäußerst kehrte und einen gewaltigen Schwall über die Brüstung in den unruhigen Atlantik sandte – gegen Lee zu seinem Glück. Unmittelbar danach allerdings, oder doch zum mindesten sehr bald darauf, bemächtigte sich seiner ein angenehmes Gefühl, ein Gefühl, alles durchstanden und die Seekrankheit ein für alle Mal überwunden zu haben. Wassilij hatte also Recht behalten.
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Einige Tage waren vergangen, seit die zuletzt zugestiegenen Fahrgäste festen Grund unter den Füßen gehabt hatten. Der zum Passagierschiff umkonstruierte Frachter näherte sich unaufhaltsam, mit achtzehn Knoten, dem südlichen Ende der Iberischen Halbinsel. Statt die Straße von Gibraltar zu queren und über den Suezkanal zunächst ins Rote Meer, dann in den Indischen Ozean zu gelangen, würde man sich für den Seeweg um Afrika, um das Kap der Guten Hoffnung, entscheiden, denn es war ganz ausgeschlossen, den Suezkanal mit Lotsen an Bord zu passieren, ohne sofort enttarnt zu werden, das lag auf der Hand. Vermutlich wäre man über Zigaretten und Schmiergelder sogar ins Geschäft gekommen, aber Fitzgerald, der Kapitän der „Samantha II“, wollte es nicht darauf ankommen lassen. Er traute diesen Ägyptern nicht, die zwar an und für sich sehr bestechlich waren – ohne Bestechung gäbe es wohl gar keinen Verkehr durch den „Zigarettenkanal“ -, die aber auch ebenso unberechenbar sein konnten, wenn sie etwa annahmen, eine korrekte Meldung könne ihnen mehr persönliche Vorteile verschaffen, als ein Stillschweigen ihnen Geld einbringen.
Auch hatte der Reeder selbst, Fritjof Lunt, den Kapitän angewiesen, alle potentiellen Gefahren, die eine bestimmte Route berge, weitestgehend zu eliminieren, indem man dieselbe ein wenig abändere. Was die Piraterie, die Bedrohung durch afrikanische Piraten anbelangte, so konnte dieser grundsätzlich weder auf die eine noch auf die andere Weise vernünftig ausgewichen werden. Denn passierte man den Kanal, so lauerte die Gefahr vom Roten Meer ab bis weit in den Indischen Ozean hinein, besonders vor der Küste Somalias und der angrenzenden Staaten Ostafrikas. Fuhr man aber – wie beschlossen – ums Kap herum, so bargen die atlantischen Gewässer Nigerias sowie dessen Nachbarrepubliken die größte Gefahr. Diese war in den vergangenen dreißig Jahren ungebremst gestiegen, wobei nicht nur von Jahr zu Jahr mehr Schiffe gekapert worden waren, sondern auch die Zahl der Todesopfer sich exponentiell erhöht hatte.
Dieser Anstieg lag in der immer größeren Gewaltbereitschaft und der – nicht anders als bestialisch zu nennenden – Brutalität besonders der westafrikanischen Freibeuter begründet. Trotzdem war die tatsächliche Gefahr – wenn man sich nicht nur die hohen Opferzahlen auf der einen Seite veranschaulichte, sondern auch in Betracht zog, wie viele tausend Schiffe aller Art alljährlich jene Gewässer kreuzten, ohne jemals angegriffen zu werden – eher als gering zu veranschlagen.
Der Kapitän, der nachdenklich auf der Brücke gestanden hatte, ab und an mechanisch durch den Feldstecher blickend, so daß grüblerische Falten sich auf dem sonst so heiteren Gesicht des Iren zeigten, mußte auf einmal laut lachen und konnte ein sich Luft machendes Schnauben und Prusten nicht mehr unterbinden, als er Stella, den Schäferhund der Bühlers an Deck mit Luise Bühler Gassi gehen sah. Luise trug ein kleines Handschäufelchen bei sich. Dem Ersten Offizier, der den „Alten“, wie man den Kommandanten eines Schiffes, gleich welcher Bauart, zu nennen pflegt, verwundert von der Seite ansah, nickte Fitzgerald zu und deutete hinunter zu der Hündin, als wollte er damit sagen: „Die da, sieh doch, ist es, die mich amüsiert.“ Auch Flavius Lefter, der den Blicken seines Vorgesetzten gefolgt war und nun die Schäferhündin und ihre Halterin erkannte, mußte schmunzeln, denn schließlich war er es gewesen, der das schöne Tier als „Kind“ der Bühlers eingetragen und an Bord hatte gehen lassen.
Allem Anschein nach hatte Stella an Bord schnell einen Spielkameraden für sich gewonnen, denn sie ging zwar mit Luise über Deck, aber um sie herum tollte ein kleiner, rothaariger Junge, der ein Ausbund an Energie sein mußte, so wie er herumsprang. Er
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