Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
ihrerseits aufsprang und laut zu bellen anfing. Das Gebell wollte nicht eher enden, als bis Martin sie zu sich rief, ihr gut zuredete und sie im Genick kraulte, wie es seine Angewohnheit war.
Die Tischgenossen blickten sich verwundert an, denn sie waren auf so etwas nicht gefaßt gewesen und darum äußerst irritiert. Aus Luise Bühlers Gesicht sprach das blanke Entsetzen. „Himmel und Hölle,“ schrie sie hysterisch, „wir saufen ab!“ Die drei Männer, die sich insgeheim mehr über ihre Überreaktion amüsierten, als sie sich über die Vorgänge erschrocken zeigten, suchten sie mit beschwichtigenden Worten zu besänftigen. „Ist doch schon alles vorbei, Liebling – kein Grund zur Panik“, sprach Martin Bühler zu seiner Frau.
Erik überlegte scharf, was diese abrupten Schläge hatte verursachen können. Vor seinem geistigen Auge spielten sich mögliche Szenarien ab, die mehr und mehr in einer Art Katastrophenfilm zu einem großen, vernichtenden Ereignis zusammenflossen, von welchem er nur noch abgerissene und verschwommene Bilder sah: eine Kollision mit einem anderen Schiff – Eisberge gab es auf Höhe der Elfenbeinküste seines Wissens nicht – oder gar eine Begegnung mit Monsterwellen? Zwei aufeinanderfolgende Riesenwellen? Beschuß durch Piraten mit schwerem Geschütz?
Eine Feststellung MacGregors riß den jungen Mann aus seinen phantastischen Spekulationen: „Als ich vor einer halben Stunde über Deck ging, war die See ringsum spiegelglatt, und es regte sich kaum ein Lüftchen. Wellen als Ursache dieser Erschütterungen sind also nach meinem Dafürhalten eher unwahrscheinlich, was meint ihr?“ sagte er und sah fragend in die Runde. „Laßt uns mal ein wenig frische Luft schnappen – vielleicht hat jemand was beobachtet“, erwiderte Erik dem Arzt, ohne von seinen wilden Theorien Gebrauch zu machen, da er sie samt und sonders bereits in diesem Augenblick verworfen hatte. Er sah aber bei dieser Aufforderung auch seine Eltern an. Martin brummte etwas Zustimmendes. In der Folge erhoben sich alle, um nach draußen zu gehen. Luise blieb an der Tür stehen. Sie würde mit Stella zurückbleiben und ein wenig „Klarschiff“ machen, denn in ihrem trauten Heim sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Erik mußte bei diesem Anblick innerlich kichern, denn ihm klangen noch die Worte seiner Eltern in den Ohren, die er immer dann zu hören bekommen hatte, wenn sein Kinderzimmer nicht picobello sauber und aufgeräumt gewesen war: „Junge! Hier schaut’s ja aus, wie bei Hempels unterm Sofa!“
Es zeigte sich, als sie den Container verlassen und nach draußen gelangt waren, daß sie sich an Deck tatsächlich nicht alleine wiederfanden. Aus allen Behausungen strömten Menschen heraus – es wimmelte geradezu von ihnen. Sie liefen gleich Ameisen auf ihrem Bau zusammen und durcheinander, und alle stellten sie die gleichen Fragen: „Was ist geschehen?“ oder „Warum machen wir kaum noch Fahrt?“ Statt der zuvor gefahrenen neunzehn Knoten wurden nun nur noch etwa vier Knoten gemacht, die Fahrtgeschwindigkeit war also auf ein gutes Fünftel herabgesunken. Es gab Fragen über Fragen, doch Antworten blieben zunächst einmal aus.
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Wieder erwischte es die Maschinisten während ihrer Kaffeepause! Als das laute Gepolter und Krachen, das die Maschinengeräusche mit Leichtigkeit übertönte, vernehmbar und die heftigen Erschütterungen fühlbar wurden, war der Chief wieder damit beschäftigt, wie bei der Querung des Ärmelkanals von Le Havre in Richtung Plymouth, eine seiner unglaublichen, jedoch wahren Geschichten zu erzählen.
„Ich sag’s euch: Bier ist in Bayern ein Grundnahrungsmittel!“ rief er heiter in die Runde, kurz bevor sich die Katastrophe ereignete. Er wollte damit seine zuvor zum besten gegebene Anekdote aus Venezuela ins rechte Licht rücken, wonach er dort – nicht mehr fähig, zu gehen – mit einem Auto gefahren und in eine Polizeikontrolle geraten sei. Die Beamten, die sofort die Alkoholfahne erschnüffelt hätten, fragten ihn gerade heraus, ob er sich noch imstande fühle, weiterzufahren, was er bejaht habe, obwohl er, wie er behauptete, nicht einmal mehr richtig sitzen konnte, was sich zeigte, als die Polizisten die Fahrzeugtür öffneten und er daraufhin herausfiel. Die Beamten hätten ihn aber, ohne viel Aufhebens von der Sache zu machen, wieder hinter das Steuer gesetzt und ihm eine gute und sichere Weiterfahrt gewünscht.
Nun schlug also in diese allnachmittägliche
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