Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Geschirr war es geschehen: die Teller lagen in Scherben auf dem Boden. Scherben, so sagt man, brächten Glück, aber für die Straffords war der Verlust ihrer Teller kein glücklicher Umstand, was die Worte des Vaters erahnen ließen, der leicht verärgert sprach: „Scarlett! – Du möchtest wohl, daß wir auf der Tischdecke frühstücken müssen, wie die Franzosen. Ich bin ganz froh, daß wir noch Ersatzteller mithaben, aber sieh zu, daß Dir die nicht auch noch aus den Fingern rutschen, so tollpatschig, wie Du Dich in letzter Zeit benimmst.“ Und tatsächlich benahm sich Scarlett in der letzten Zeit ein wenig seltsam. Es war nicht das erste Mal, daß sie in der jüngsten Vergangenheit ohne ersichtlichen Grund etwas hatte fallen lassen. Auch war sie manchmal augenscheinlich sehr verträumt und merkte es mitunter nicht, wenn man sie ansprach, ohne ihren Namen in die Anrede einzubeziehen. Ja manchmal blieben ihre Ohren selbst dann taub und gleichsam auf Durchzug gestellt, selbst wenn man sie mit ihrem Namen adressierte. „Man könnte glauben, sie sei verliebt!“ rief die Mutter aus einer dunklen Ecke des Wohncontainers, die bei dem Krach, den das Bersten von Tellern nun einmal verursacht, aufgesehen und bei den Worten ihres Mannes schmunzelnd den Kopf geschüttelt hatte. Scarlett wurde rot. War sie verliebt? Sie wußte es selbst nicht so genau.
Sie antwortete ihrer Mutter nicht, sondern sah schweigend zu Boden, indessen sie emsig und beflissen die größeren Scherben auflas, die so wild zerstreut herumlagen, um hernach die kleineren zusammenzukehren und das Werk, das sie vor dem Patzer begonnen, nunmehr mit den Ersatztellern zu Ende zu führen. Ihrem Bruder, der sie bei dieser Arbeit neckte, indem er um sie herumtänzelte und immerzu rief: „Scarlett ist verliebt, Scarlett ist verliebt“ und dabei unfehlbar nach jedem Zuruf laut und anhaltend kicherte, versuchte sie zunächst keine Beachtung zu schenken, doch, als es ihr schließlich zu bunt wurde, versetzte sie: „Scher Dich weg, du kleiner Störenfried. Was soll denn das Theater, Du bist doch keine fünf mehr!“ Das wirkte: Thomas verstummte, denn er wollte in der Tat nicht wie ein kleines Kind erscheinen.
Kapitel IX
Wie angekündigt, besuchte Dr. Iain MacGregor die Bühlers seit dem Eingriff, den er zusammen mit Francis Boyle und der französischen OP-Schwester bei Luise vorgenommen und der wahrscheinlich ihr Leben gerettet hatte, täglich. Er erschien meist gegen vier Uhr am Nachmittag in der Tür ihres Containers, besah sich die durch Nähte geschlossene Wunde, um den Heilungsverlauf beurteilen zu können, und plauderte im Anschluß noch ein wenig mit der Familie. Vor zwei Tagen hatte ihm Herr Bühler erstmals einen Kaffee angeboten, worauf eine fröhliche Tischrunde zustande gekommen war. Und um dieses noch im Entstehen begriffene Ritual fest zu etablieren, kam MacGregor tags darauf mit einer großen, kaum angebrochenen Packung englischen Schwarztees bei den Bühlers vorbei und machte ihnen dieselbe zum Geschenk. Besonders Erik, der Kaffee wegen seines bitteren Geschmacks noch nie hatte ausstehen mögen, zeigte sich über dieses Mitbringsel über die Maßen erfreut, denn er hatte auch schon in Niefern meistens nur dagesessen, ohne etwas zu trinken, wenn es Kaffee und Kuchen gegeben hatte.
Es wurde gerade vergnügt von der weltberühmten Rede des neuseeländischen Außenministers Van Buren gesprochen, die maßgeblich dazu beigetragen hatte, daß Francis und Iain hatten umdisponieren müssen und, statt mit dem Flugzeug, nun auf dem Seeweg ins „Gelobte Land“, wie Iain es scherzend nannte, zu gelangen suchten. Da ereignete sich etwas – zum mindesten für die Mitglieder der Tafelrunde – völlig Unerklärliches. Sie hörten jäh zwei gewaltige und rasch aufeinanderfolgende Schläge, die das ganze Schiff erzittern ließen. Es waren diese Erschütterungen so gewaltsam und von solcher außergewöhnlichen Stärke, daß man – wie bei einem Erdbeben – die Wände wackeln sah und alles durcheinander fiel. So manche Tasse kippte; zwei kullerten über die Tischkante und zerschellten klirrend am Boden, während das aufgesetzte, kochend heiße Wasser aus der Kanne floß und beinahe Frau Bühler, die dem Teekessel am nächsten saß, verbrüht hätte, wenn sie nicht kreischend aufgesprungen wäre und sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hätte. Dabei wäre sie um ein Haar auf die am Boden ausgestreckt liegende Schäferhündin getreten, die nun
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