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Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman

Titel: Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Scharf
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Versammlung der Blitz ein. Alle verstummten für einen kurzen Augenblick des Schreckens. Wassilij, der als erster die Sprache wieder gefunden hatte, rief mit seiner durchdringenden, tiefen Baßstimme: „Kurwa! Was zum Teufel!“ und blickte dabei entgeistert in die Runde. „Kurwa“, was übersetzt Schlampe bedeutet, war eigentlich polnisch, diente aber auch den Ukrainern und Bulgaren, welche auf der „Samantha II“ ihren Dienst verrichteten, als Allzweckwort. So konnte es von den Männern entweder als Verstärkung gebraucht werden, um ihre Bewunderung auszudrücken, wie auch als Fluch. Sie verwendeten das Schimpfwort bald in diesem, bald in jenem Sinne, indem sie es vorn oder hinten, gleich wie sie gerade Lust hatten, in ihre Sätze einbauten. „Hui!“ vernahm man es darauf von einem der Öler, einem jungen Kerl, der noch nicht lange zur See fuhr. Er schnalzte mit der Zunge, nachdem er hinzugefügt hatte: „Was mich allerdings beunruhigt, das ist die Tatsache, daß unser Chief genauso ratlos zu sein scheint, wie wir.“

    „Ach wo – ne Riesenkrake hat uns angegriffen; daß ich das noch erleben darf!“ versetzte dieser, der wieder zu seinem sanftmütigen Lächeln zurückgefunden hatte, denn er erhielt seinen Humor in der Regel auch dann noch aufrecht, oder suchte ihn zum mindesten alsbald wiederzugewinnen, wenn alles um in her verzagte. Auch über die Gesichter der Ingenieure und Öler, die der Scherz ihres Vorgesetzten aufgeheitert hatte, flog ein eiliges Lächeln.
    Allein die Freude hielt nicht lange an: denn sie merkten nun allmählich, daß sich die Fahrtgeschwindigkeit immer weiter verringerte, bis sie schließlich auf gerade einmal vier Knoten herabgebremst worden war. „Alles klar, Jungs! Das Kaffeekränzchen ist beendet. Maschinen stoppen, so lange wir nicht wissen, was geschehen ist!“ befahl der Leiter der Maschinenanlage, wobei er wieder bemüht war, etwas strenger dreinzublicken. Sofort ging ein jeder an seine Arbeit, und emsig wie Bienen machten sie sich daran, die Order auszuführen. Der Chief schritt auf das Telefon zu und drückte die Zahlenkombination 211, die direkte Durchwahl zur Kommandobrücke, wobei er sich ein wenig wunderte, daß er selbst noch keinen Anruf von dort oben erhalten hatte. Der Zweite Nautische Offizier, der gerade Wache hatte, ging ans Telefon und versicherte seinem Landsmann auf Deutsch, auch auf der Brücke habe kein Mensch eine Ahnung, welches seltsame Ereignis die harten Schläge und den Geschwindigkeitsverlust verursacht haben könnte.

    Ein jäher Verdacht regte sich in dem alten Seemann, dem es oblag, die Maschinenanlage zu leiten, in welcher auch die Schiffsschraube ihren Platz hatte. „Was nun,“ dachte er, „wenn die Schraube etwas abbekommen hat, vielleicht durch eine Kollision unter der Wasseroberfläche, die den Rest des Schiffes unberührt gelassen haben könnte?“ Das wäre zumindest eine Erklärung – und momentan die einzige plausible noch dazu. Er setzte diese Theorie alsbald dem Kapitän des Schiffes auseinander, der mit besorgter Miene den Maschinenkontrollraum betrat. Dieser ordnete, da er die Einschätzung des Chiefs für durchaus treffend erachtete, an, ein Boot zu Wasser zu lassen und den Propeller, soweit möglich, in Augenschein zu nehmen.

    Eine Mannschaft war schnell zusammengestellt. Sie bestand aus Wassilij, Sergei Georgiv, dem bulgarischen Dritten Offizier, dessen Aufgabe es gewesen war, den Passagieren das Schiff bekannt zu machen, sowie einem Öler und zwei Matrosen. Der Kapitän und sein Chief standen nebst dem Zweiten Offizier achtern und beobachteten mit Skepsis, wie das zuvor ausgesetzte Boot sich der fraglichen Stelle näherte. Auch eine Anzahl schaulustiger Fahrgäste hatte sich eingefunden.
    Im Beiboot selbst war von Skepsis nichts zu spüren, man war vielmehr optimistisch, denn man hatte für alle Fälle einen Eimer dergestalt präpariert, daß man den Boden herausgenommen und an seiner Statt eine Plexiglasscheibe eingesetzt hatte, um vermittelst dieser provisorischen Konstruktion den Blick in die Tiefe zu erleichtern. Umso größer war dann die Ernüchterung, als man auch mit diesem Hilfsmittel nichts erkennen konnte – zu tief unter der Wasseroberfläche befand sich die Schiffsschraube. Die Seeleute machten betrübte Gesichter und waren bereits im Begriff umzukehren, da faßte sich Sergei Georgiev ein Herz und sprang, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten und ohne seinen Kameraden im Beiboot auch nur ein Wort von seinem

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