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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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Verursacher für die derzeit hohen Staatsschulden, den Finanzsektor. Die wirtschaftliche Dynamik in Europa war zum Stillstand gekommen. Drei Jahre zuvor, nach dem fatalen Zusammenbruch der Lehman-Bank und der damit ausgelösten Finanzkrise 2007, hatte die Politik mithilfe staatlicher Konjunkturprogramme teilweise noch gegensteuern könne. Jetzt funktionierte das nicht mehr. »Euroland« befand sich plötzlich in den Klauen der Spekulanten. Den größten Problemkandidaten, allen voran Griechenland, musste geholfen werden. Aber wie?
    Die → Europäische Zentralbank (EZB) war mit ihrem herkömmlichen Geldinstrumentarium am Ende. Sie spielte daraufhin ihren größten Trumpf aus, ihre Fähigkeit zur unbegrenzten → Geldschöpfung , und versorgte die Problemländer mit Liquidität, indem sie deren Staatsanleihen kaufte. Dieses → quantitative easing half, aber es reichte nicht aus. Eine weitere, »politische« Lösung musste her. Daher der Rettungsschirm.
    Der Rettungsschirm arbeitet wie alle → Fondsanlagen nach dem Klingelbeutel-Prinzip: Es wird Geld gesammelt, das zweckgebunden verwendet wird. Der erste Rettungsschirm hieß EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Er wurde ab Mai 2010 aktiv und sollte den europäischen Krisenstaaten Finanzhilfen gewähren, um deren Zahlungsfähigkeit zu sichern. Das dafür notwendige Kleingeld besorgte er sich am Kapitalmarkt, also just bei jenen Spekulanten, die inzwischen auf einen Niedergang einiger Länder der Eurozone gesetzt hatten. Ein solches Vorgehen funktioniert natürlich nur dann, wenn es entsprechend hohe Sicherheiten seitens zahlungskräftiger Länder gibt. Also war man bei der Euro-Gemeinschaftshaftung angelangt. Die EFSF wurde folglich durch alle Euroländer mit einer üppigen Garantiesumme ausgestattet: 440, später 780 Milliarden Euro. Deutschland, als besonders »starkes« Mitglied, stand seinerzeit für rund 211 Milliarden Euro gerade.
    Dann wurde die EFSF bei den Investoren am Kapitalmarkt vorstellig. Also bei Banken, Versicherungen, Fondesgesellschaften und Co. Im November 2011 beispielsweise emittierte sie unter der internationalen Wertpapierkennnummer (ISIN) EU000A1G0AD0 eine 3,5-Prozent-Schuldverschreibung mit einer Laufzeit bis Februar 2022 im Volumen von 3 Milliarden Euro. Die Anleihe ging gut weg, allerdings zu einem Preis von knapp unter 100 Prozent, so dass die Rendite (vgl. → quantitative easing ) zum Emissionszeitpunkt ein wenig höher als 3,5 Prozent war. Mit den 3 Milliarden Euro konnte die EFSF dann dem spanischen oder dem italienischen Staat zu relativ günstigen Zinsen finanziell unter die Arme greifen. Wäre die oben erwähnte Anleihe EU000A1G0AD0 nur zu 80 oder 85 Prozent an die Investoren gelangt, wäre dies nicht gelungen. Dann hätte Italien oder Spanien sich auch gleich selber zu unverschämt hohen Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren können.
    Im Juni 2013 stand die Anleihe übrigens bei 111 Prozent. Das Vertrauen der Finanzmarktakteure in die EFSF war da, der Dreieinhalb-Prozenter wurde gut nachgefragt, der Kurs stieg. Geht doch!
    Da die Politik 2010 noch an eine rasche Lösung der »Euro-und Staatsschuldenkrise« glaubte, wurde das Instrument EFSF befristet angesetzt. Leider holte die Realität die Wunschvorstellungen der EU-Entscheidungsträger ein. Aus der Erkenntnis heraus, dass nur ein dauerhafter Rettungsschirm in der Lage sein würde, die »Märkte« zu beruhigen, hob man im September 2012 zur Ablösung der EFSF den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aus der Taufe.
    Der ESM ist ausgestattet mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro. Jedes Land der Eurozone hat einen Anteil an diesen 700 Milliarden »gezeichnet«. Deutschland ist jetzt mit 190 Milliarden, Frankreich mit 142 Milliarden Euro dabei – und so weiter. Auf ein kleines Land entfällt ein entsprechend geringerer Anteil; Malta beispielsweise steht für etwa eine halbe Milliarde gerade. Die »Zeichnung« heißt aber nicht, dass jetzt Geldmittel in entsprechender Höhe an den ESM fließen. Nur 80 Milliarden der 700 Milliarden Euro sind bar einzuzahlen, also effektiv als Guthaben zu überweisen, der Rest besteht wiederum aus Garantien. Der ESM soll andererseits »nur« bis zur Höhe von 500 Milliarden Euro den Krisenstaaten Finanzhilfen gewähren beziehungsweise deren Anleihen kaufen. Durch die Übersicherung von 200 Milliarden Euro soll Vertrauen geschaffen werden. Das ist gut für’s → Rating . Die ersten Anleihen des ESM sind seit Anfang

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