Das kritische Finanzlexikon
zusätzliches Rentenpäckchen flächendeckend eingesetzt werden. Das Zusatzbonbon: staatliche Zuschüsse, denn der Deutsche ist wie elektrisiert, wenn er etwas vom Staat bekommt.
Bei einer kapitalgedeckten Zusatzrente muss man logischerweise von einem langen Anlagehorizont ausgehen. Wer sich heute dafür entscheidet, wird normalerweise 20 bis 30 Jahre lang fleißig einzahlen müssen. Propagiert werden von der Finanzbranche vornehmlich fondsbasierte Produkte (vgl. → Fondsanlagen ). Man weckt Börsenhoffnungen, das heißt, man setzt unverdrossen auf funktionierende, rationale Kapitalmärkte, die ewiges Wachstum generieren. Man kuscht vor der angeblich so schrecklichen Gefahr einer bedrohlichen Entwicklung unserer »Alterspyramide«, kalkuliert die unabsehbaren Risiken an den Kapitalmärkten offenbar jedoch kaum ein.
Es gibt nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales inzwischen 15,7 Millionen Riester-Verträge. Also klopften seit Einführung der Riester-Rente 15,7 Millionen Neukunden beziehungsweise Kunden mit neuem Bedarf bei Banken und Versicherungen an und wurden mit entsprechenden Produkten eingedeckt. Nach einer parlamentarischen Anfrage der Linken wurde publik, dass die Finanzbranche aus dem millionenfachen »Riestern« ein Provisionsvolumen von etwa 6 Milliarden Euro kassiert hat. Dem stehen 8,2 Milliarden Euro an staatlichen Fördermitteln gegenüber. Fast drei Viertel der öffentlichen Mittel flossen also in die Taschen der Finanzkonzerne.
Die schöne neue Welt der privaten Altersvorsorge bricht endgültig in sich zusammen, wenn man einen zusätzlichen Faktor einbezieht, der besonders in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat – die rapide zunehmende Zahl an Geringverdienern (Minijobber, Leiharbeiter, Beschäftigte in Dumpinglohnbranchen). Diese Menschen sind nämlich kaum in der Lage, eine private Altersvorsorge zu stemmen, die in eine ausreichende Rentenversorgung im Alter münden kann. Gewinner der Riester-Reform sind demgegenüber die relativ gut situierten Einzelhaushalte sowie Familien, in denen sogar der nicht verdienende Ehepartner über einen eigenen Vertrag Zulagen kassieren kann. Auf diese Weise zementiert man nicht nur das Bild von der Einverdiener-Heile-Welt-Familie; man sorgt gleichzeitig für zunehmende → Ungleichheit .
Walter Riester selber tangiert das alles nur peripher. Er ist stolz auf seine Reform. Feiern lässt sich auch Hans-Adalbert (genannte Bert) Rürup. Unter dessen Regie als Vorsitzender der nach ihm benannten Kommission zur Neuordnung der Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkommen wurde die Rürup-Rente als kapitalgedeckte Basisversorgung für Selbstständige aus der Taufe gehoben. Diese rechnet sich aufgrund der noch ausgeprägteren Steuervorteile nicht nur für wohlhabende Freiberufler und Kaufleute, sondern auch für gut verdienende Angestellte. Auch im Rürup-Sektor tummeln sich die Anbieter entsprechender, riesterähnlich gestrickter Produkte. Die Zahl der Rürup-Verträge ist mit etwa 1,5 Millionen gegenüber Riester bescheiden. Trotz dieser relativ geringen Zahl dürfte sich allerdings auch dieses Modell für die Finanzbranche rechnen, da man hier von sehr viel höheren Anlagesummen und damit entsprechend saftigeren Provisionsbeteiligungen ausgehen muss.
Die Herren Riester und Rürup haben sich um die Finanzindustrie verdient gemacht. Wenn Branchenvertreter den Wunsch verspüren, sich hierfür herzlich zu bedanken – der Weg ist nicht weit. Walter Riester ist Aufsichtsratsmitglied des Fondsanbieters Union Asset Management Holding AG und tritt regelmäßig als Referent bei verschiedenen Finanzdienstleistungsunternehmen in Erscheinung. Bert Rürup gründete, nachdem er seinen Posten als Chefökonom beim Finanzdienstleister AWD aufgegeben hatte, gemeinsam mit Carsten Maschmeyer (dem einstigen Gründer von AWD) die MaschmeyerRürup AG. Das Unternehmen berät Banken, Versicherungen und auch Staaten in Fragen der Alters- und Gesundheitsvorsorge. Maschmeyer selbst belegte übrigens vor einigen Jahren die durch Einführung der privaten Altersvorsorge entstehenden Gewinnpotenziale für ihn und seinesgleichen mit dem plastischen Begriff »Ölquelle«.
Rohstoffe und Nahrungsmittel
Walter Neumann gehört zu jenem Drittel der Deutschen, deren Nettoeinkommen zwischen 900 und 1 700 Euro liegt. In seinem Fall sind es 950 Euro. Philippa Kellner geht es finanziell wesentlich besser. Sie hat jeden Monat 6 150 Euro zur Verfügung; 98 Prozent der Deutschen
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