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Das kritische Finanzlexikon

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Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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Kreditwünsche (Gebote) die zugeteilte Summe. Haben die Banken zum Beispiel Gebote von insgesamt 200 Milliarden Euro abgegeben, und die EZB teilt letztlich nur ein Volumen von 100 Milliarden Euro zu, so erhält jede Bank eben nur 50 Prozent ihres Kreditwunsches. Ist die EZB großzügiger, erhalten die Gebote eine höhere Zuteilung. Beim Zinstender kann sie wiederum eine Justierung des Zinssatzes aufgrund ihrer Vorgabe des Mindestbietungszinses vornehmen. Auf der anderen Seite hat sie auch hier wieder die Möglichkeit einer Begrenzung der Zuteilungsmenge. Teilt sie eine relativ geringe Menge zu, so werden zunächst die Wünsche derjenigen Kreditinstitute erfüllt, die bereit sind, höhere Zinsen zu zahlen, Banken mit niedrigen Zinssatzgeboten gehen leer aus.
    Grundsätzlich ist die Geldaufnahme bei der EZB die einfachste und (vom Zinssatz her gesehen) attraktivste Form der Geldbeschaffung. Der Geldhandel zwischen den Banken (Interbankenhandel) flankiert das EZB-Geldbeschaffungssystem. Benötigt ein Kreditinstitut über das Volumen der bei der EZB beschafften Mittel hinaus noch Liquidität, kann diese über den Interbankenhandel gedeckt werden. Die Verhältnisse beim Geldhandel zwischen den Banken haben sich vor einigen Jahren jedoch nachhaltig geändert, und dies hat große Auswirkungen auf die EZB-Politik bei der Zuteilung von Geldmitteln.
    Im Abschnitt → Misstrauen wurde dargelegt, dass sich die Bankenwelt seit der Finanzkrise 2007 in winner und loser aufspaltet. Erstere sind sehr gut mit Liquidität ausgestattet. Ihr Geschäftsmodell funktioniert, ihr Kreditgeschäft läuft ohne nennenswerte Forderungsausfälle, und Ausflüge in die risikobehaftete Welt des → Investmentbanking sind nicht notwendig. Vielleicht haben sie bei ihren Spekulationsgeschäften auch mehr Glück als ihre Konkurrenten. Bei den losern ist das anders. Sie fallen bei ihren Engagements im Kreditgeschäft oder an den internationalen Finanzmärkten schon mal auf die Nase und müssen dann hohe Abschreibungen auf Forderungen oder Wertpapiere vornehmen, was in letzter Konsequenz zu einem Geldmangel führt.
    Früher, also vor 2007, halfen sich Banken untereinander gerne aus, wenn es um die Beschaffung von liquiden Mitteln ging. Der Interbankengeldmarkt funktionierte prächtig. Man kannte sich, man verstand sich – es war ein nahezu perfekter globaler Klüngel. Damals flankierten die Zentralbanken das Ganze mit unwiderstehlichen Angeboten. Was eine Bank im Eurowährungsraum an Liquidität benötigte, beschaffte sie sich zunächst über die regelmäßigen EZB-Tender, ein darüber hinausgehender Bedarf wurde über den Interbankengeldmarkt von einer »befreundeten Bank« (so sagte man damals) hereingenommen. Letzteres war ein wenig kostspieliger, aber der Zinsaufschlag war nicht besonders hoch. Von Misstrauen keine Spur. Als das Misstrauen jedoch in die Banken-Vorstandsetagen einzog, war die EZB mit ihren Tendern gefordert (später kamen weitere Geldbeschaffungsinstrumente verstärkt hinzu; vgl. → Europäische Zentralbank ).
    Den Wechsel in der Zuteilungspolitik der EZB bei den Tendern kann man anschaulich anhand einer Statistik der sogenannten Hauptrefinanzierungsgeschäfte (Tender mit einer Laufzeit von in der Regel einer Woche) aus dem Jahr 2008 nachvollziehen:

    Im Oktober 2008 erfolgte eine Umstellung auf den Mengentender. Eine Differenzierung nach der Höhe der gebotenen Zinssätze gab es nicht mehr. Und nicht nur das. Die Kreditwünsche der Banken wurden ohne Einschränkung erfüllt. Zuvor war (bereits seit vielen Jahren) nur noch der Zinstender mit ziemlich geizigen Zuteilungen angewendet worden.
    Und wie sah es mit den Zinssätzen bei der Zuteilung aus? Nach dem ersten Mengentender im Oktober 2008 mussten die Kreditinstitute noch 3,75 Prozent zahlen. Dann sank der Satz immer tiefer, auf 3,25 Prozent im November 2008, 2,50 Prozent im Dezember 2008, 2,00 Prozent im Januar 2009, 1,50 Prozent im März 2009 und 1,25 Prozent im April 2009. Von Mai 2009 bis Anfang April 2011 lag er bei 1,00 Prozent. Danach versuchte sich die EZB vorsichtig wieder an Zinserhöhungen; der Satz wurde auf 1,25 Prozent, Mitte Juli 2011 sogar auf 1,5 Prozent angehoben. Dann brach die sogenannte Eurokrise aus. Von Dezember 2011 bis Juli 2012 bot die EZB die Hauptrefinanzierungsmittel daraufhin zu 1 Prozent an, seitdem ging es noch zweimal herunter; mit 0,5 Prozent hat man inzwischen einen historischen Tiefstand erreicht.
    Neben den in der obigen Statistik aufgeführten

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