Das kritische Finanzlexikon
Hauptrefinanzierungsgeschäften gibt es noch die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte. Sie weisen in der Regel eine Laufzeit von etwa drei Monaten auf. Bei diesen Geschäften setzte der seinerzeit frisch gekürte EZB-Chef Mario Draghi im Dezember 2011 und im März 2012 noch einen drauf, indem er die »Dicke Bertha« (Originalzitat Draghi) auspackte. Mit dieser doppelten Geldkanone drehte er an der letzten Stellschraube, die er zwecks Liquiditätshilfe für das Bankensystem noch beeinflussen konnte: der Laufzeit. Er legte zwei Tender über längerfristige Refinanzierungsgeschäfte auf. Im Dezember 2011 und im März 2012 gab es jeweils etwa 500 Milliarden Euro als Mengentender mit voller Zuteilung zum vorläufigen Zinssatz von zunächst 1 Prozent, später 0,75 Prozent beziehungsweise 0,5 Prozent. Bereits das war aufgrund der hohen Summe beachtenswert. Noch beachtlicher war die Laufzeit von drei Jahren. Das Eine-Billion-Kreditprogramm läuft also noch bis Ende 2014/Anfang 2015.
Spürbare Auswirkungen auf die von Verbrauchern zu zahlenden Kreditzinsen gibt es kaum. Vor allem bei Kontoüberziehungen, auch Dispositionskredit (kurz: Dispo) genannt, langen deutsche Banken gnadenlos zu. Die Stiftung Warentest ermittelte 2012 die Dispo-Zinsen von knapp 1 000 deutschen Banken. Es ergab sich ein Durchschnittswert von annähernd 12 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr waren das 0,6 Prozent weniger – bei einem gleichzeitigen Rückgang der von den Banken an die EZB zu zahlenden Zinssätze um 50 Prozent. Dabei geht es auch anders. So kostet beispielsweise der Dispositionskredit in Österreich nur 5,5 Prozent und in den Niederlanden 6,7 Prozent.
Tobin-Steuer
Er war der erste, der ein Konzept für eine Finanztransaktionssteuer ausarbeitete: der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1981, James Tobin. Inspiriert hatte ihn John Maynard Keynes, der in seinem Klassiker Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes 1936 geschrieben hatte: »Die Einführung einer nicht unerheblichen Verkehrssteuer auf alle Transaktionen könnte sich als die brauchbarste Reform im Hinblick auf die Abschwächung der Vorherrschaft der Spekulation über Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die zur Verfügung steht, erweisen.«
Tobin griff Keynes’ Grundgedanken 1972 in seinem Vorschlag auf, eine weltweite Abgabe von 0,5 bis 1 Prozent auf internationale Devisengeschäfte zu erheben, um so kurzfristig orientierte Spekulationen auf Währungsschwankungen einzudämmen. Wechselkurse, so seine Überzeugung, sollten langfristige realökonomische Phänomene widerspiegeln und nicht durch kurzfristige Spekulationen verzerrt werden. Den gleichen Ansatz hatte Keynes verfolgt, dem es darum ging, dass Investoren sich langfristig an Aktien orientieren und nicht von kurzfristigen Gewinnmitnahmen leiten lassen sollten.
Die Zeiten haben sich seitdem geändert. Leider nicht zum Besseren. Wir haben es heute mit einer gigantischen Spekulationsmaschinerie zu tun. Als Spekulationsbremse fungierte in Deutschland bis 1991 (in Österreich bis 2000) die Börsenumsatzsteuer, die im Zuge der allgemeinen Deregulierungswelle im Finanzsektor abgeschafft wurde. Ausdruck der Dominanz des renditegetriebenen und auf kurzfristige Gewinnerzielung ausgerichteten Agierens an den deregulierten Finanzmärkten sind heutzutage nicht nur → Tageshändler und weitere Akteure aus den Abteilungen → Leerverkäufe , → Hedgefonds oder → Heuschrecken . Auch der ausufernde Handel in → Devisen , die verstärkte Nutzung bankfremder Produkte wie → Rohstoffe und Nahrungsmittel zur Generierung von Finanzgewinnen sowie die Umsatzexplosion im Bereich der → Derivate sprechen für sich. Eine Finanztransaktionssteuer ist notwendiger denn je, weil sie die im Zusammenhang mit kurzfristigem Spekulationshandeln entstehenden Transaktionskosten erhöht und somit indirekt langfristiges Wertpapierengagement fördert. Vor allem dem Hochgeschwindigkeitshandel (→ high frequency trading ) gräbt sie das Wasser ab.
Eine Finanztransaktionssteuer darf sich jedoch nicht nur auf den Börsenhandel beschränken. Die Briten führen im Zuge der neu entflammten Diskussion um eine europaweite Finanztransaktionssteuer das Argument ins Feld, dass diese Steuer an den Börsen der heißgeliebten (weil unregulierten) City of London (vgl. → offshore ) für den Aktienhandel bereits existiert. Also gebe es doch keinen Bedarf hierfür. Dieses Argument ist lächerlich. Eine lediglich auf Aktien
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