Das kritische Finanzlexikon
»Marktpotenzialen« und »Zukunftsperspektiven« nur hohle Phrasen sind.
Finanzanalysten sind in allen großen Bankhäusern, vor allem jedoch im → Investmentbanking und in Ratingagenturen (→ Rating ) anzutreffen. Natürlich würde keiner von ihnen behaupten, er könne die Zukunft mit Sicherheit voraussagen. Aber es gelingt ihnen, durch überzeugendes Auftreten und geschickte Vermarktung ihrer vorgeblich rationalen Modelle potenzielle Anleger zu ködern und nachdrücklich auf definierte Zukunftstrends hinzuweisen. Auf dass möglichst viele Leute auf den nächsten Anleger-Zug aufspringen mögen. Egal, wie dieser Zug auch heißt, ob »Social Networking«, »Biotechnologie« oder »Wasserversorgung«.
Dass die Prognosen der Finanzanalysten meist nicht ins Schwarze treffen, wurde bereits vor Jahren durch ein anschauliches (und darüber hinaus recht lustiges) Experiment deutlich. Die schwedische Zeitung Expressen ließ Börsenprofis gegen einen Affen antreten. Beide Lager wurden mit dem gleichen Startkapital ausgestattet und sollten dieses vermehren. Die Börsenprofis orientierten sich bei ihrer Wahl der Wertpapiere, in die sie investierten, natürlich an Empfehlungen aus der Zunft der Finanzanalysten. Der Primat warf mehrmals hintereinander einen Dart-Pfeil auf eine Liste von Wertpapieren – und gewann den Wettkampf.
Dennoch setzt die Branche unverdrossen auf Analystenempfehlungen. Und die Anlageberater klären unverdrossen jeden Bankkunden, der monatlich vielleicht 100 Euro in eine → Fondsanlage steckt oder im Rahmen seiner privaten Altersvorsorge die Produkte der Herren → Riester und Rürup erwirbt, wortreich über die neuesten Analystenempfehlungen auf. Die Kunden denken dann: »Na – wenn Fachleute das so sagen, dann sollte ich das Wertpapier auch kaufen.« Ganz schön leichtgläubig. Man sollte sich stets in Erinnerung rufen, dass die Tätigkeit der Finanzanalysten eine mitttels mathematischer Formeln und grafischer Darstellungen kaschierte Form der Kaffeesatzleserei ist.
Finanzindustrie (und Finanzialisation)
Der Begriff Finanzindustrie ist relativ neu und erfreut sich zunehmender Beliebtheit, stellt er doch eine – vordergründig widersprüchliche und damit Aufmerksamkeit weckende – Verbindung von Real- und Finanzökonomie her. In der Realökonomie werden Güter produziert, die Finanzökonomie widmet sich der »Geldseite« unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Aber was kann in der Finanzindustrie schon hergestellt werden?
Von der institutionellen Seite her betrachtet, kann man unter dem Begriff Finanzindustrie zunächst einmal die sogenannten Monetären Finanzinstitute subsumieren. Darunter fallen, neben Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften (Volks- und Raiffeisenbanken) auch Bausparkassen, Landesbanken sowie Spezialkreditinstitute wie zum Beispiel die vor allem mit Mittelstands-, Existenzgründungs- und Wohnungsbaufinanzierung befasste öffentlich-rechtliche KfW-Bank. Des Weiteren gehören aber auch Versicherungen, Fondsgesellschaften (→ Fondsanlagen ), Vermögensverwalter, → Pensionsfonds, Investmentbanken (→ Investmentbanking ) sowie Ratingagenturen (→ Rating ) zur Finanzindustrie.
Das breite Spektrum dieser Teilnehmer lässt ebenso wie die Tatsache, dass in der Finanzbranche mit außerordentlich hohen Summen agiert wird, auf eine starke wirtschaftliche Macht schließen. Und die ist in der Tat zu konstatieren.
In einer Untersuchung der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich aus dem Jahr 2011 wurden 43 000 weltweit agierende Konzerne erfasst, von denen etwa 1 300, also 3 Prozent, insgesamt 80 Prozent des globalen Umsatzes kontrollieren. Drei Viertel dieser besonders mächtigen Konzerne gehören zum Finanzsektor. Betrachtet man die 50 einflussreichsten dieser 1 300 Konzerne, so zeigt sich, dass nur ein einziges Unternehmen, die China Petrochemical Group, nicht aus der Finanzbranche stammt. Die anderen 49 sind Finanzunternehmen.
Mit der eminent großen Bedeutung der Finanzindustrie hängt der Begriff Finanzialisation zusammen. Hier geht es um den Einfluss der Finanzmärkte, also der Handelsplätze für Wertpapiere, → Devisen , → Derivate etc., auf das Wirtschaftsgeschehen. Dass auch dieser Einfluss inzwischen außerordentlich hoch ist, wird durch das folgende Beispiel deutlich: Vor einigen Jahren gelang dem ehemaligen Top-Manager Wendelin Wiedeking mit seinem Unternehmen Porsche das Kunststück, mehr Gewinn als Umsatz einzufahren. Die Sache entstand aus
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