Das kritische Finanzlexikon
komplizierten Derivategeschäften im Zusammenhang mit der von Porsche damals anvisierten Übernahme des weitaus größeren Autobauers VW. Der Ausgang ist bekannt: Letztendlich schluckte VW den Sportwagenbauer, und Wiedeking war draußen. Wie konnte es zu der Situation kommen, dass Porsche mehr Gewinn als Umsatz einfuhr? Ganz einfach: Jedes Unternehmen zieht von seinen Umsatzerlösen die bei der Leistungserstellung angefallenen Aufwendungen (Personal-, Materialkosten etc.) ab. Hinzuaddiert werden dann bestimmte weitere Erlöse, zum Beispiel außerordentliche Erträge aufgrund von Steuerrückerstattungen – und eben auch Erträge aus Finanzgeschäften. Die nicht zum eigentlichen operativen Geschäft gehörenden Erträge können offensichtlich so immens hoch sein, dass sie alle Aufwendungen übersteigen. So geschehen bei Porsche im Zeitraum August 2007 bis Juli 2008 – Umsatz: 7,5 Milliarden Euro, Gewinn vor Steuern: 8,6 Milliarden Euro.
Finanzialisation, die Dominanz von Einkommen aus Finanztransaktionen gegenüber Einkommen, die aus realwirtschaftlichem Agieren heraus entstehen, zeigte sich im Fall Porsche auf ganz besonders krasse Weise. Sie ist jedoch inzwischen allgegenwärtig. Bei großen, international agierenden Unternehmen zeigt sie sich vornehmlich im Handel mit → Devisen . Einem Unternehmen, das aufgrund von Importoder Exportgeschäften regelmäßig Fremdwährungen zur Begleichung von Importrechnungen benötigt oder Exporterlöse in die Heimatwährung umtauscht, stehen grundsätzlich zwei Wege zur Absicherung des mit dem Handel von Devisen verbundenen Kursrisikos zur Verfügung – die Devisenoption oder das Devisentermingeschäft. Bei der Option hat das Unternehmen ein Wahlrecht, das Termingeschäft ist unbedingt zu erfüllen, also ein Future (vgl. → Derivate ). Die Situation ist also aus Sicht des Unternehmens bei einer Option komfortabler. Beispiel: Ein Exporteur erwartet in drei Monaten einen Zahlungseingang von 1 Million US-Dollar. Aktuell steht der Kurs bei 1,30 Dollar für einen Euro. Schließt der Exporteur mit seiner Hausbank ein Devisenoptionsgeschäft über 1 Million US-Dollar zum Basispreis 1,30, hat er das Recht, seiner Bank die Million in drei Monaten zu 1,30 Euro je Dollar verkaufen zu dürfen. Das entspricht einem Gegenwert von 769 231 Euro (1 000 000 Dollar : 1,30 Dollar je Euro). Steht der Kurs in drei Monaten bei 1,40 Dollar je Euro, so entspricht dies einem Gegenwert von 714 286 Euro (1 000 000 Dollar : 1,40 Dollar je Euro). Trifft diese Situation also später ein, wird der Exporteur von seinem Optionsrecht Gebrauch machen, da er zum vorher vereinbarten Terminkurs einen höheren Gegenwert erhält. (Die Bank würde in diesem Fall die Dollar-Wette verlieren, aber keine Sorge: Sie hat sich zuvor über ein entsprechendes Derivate-Gegengeschäft abgesichert.) Bei einem späteren Kurs von 1,20 Dollar je Euro hingegen würde der Exporteur von seinem Optionsrecht keinen Gebrauch machen, da er jetzt einen Gegenwert von 833 333 Euro (1 000 000 Dollar : 1,20 Dollar je Euro) erhält.
Anders sieht es beim Devisentermingeschäft aus. Hier wäre, wenn ein fester Terminkurs von 1,30 Dollar je Euro für den späteren Zahlungseingang vereinbart würde, das Geschäft auf jeden Fall zu diesem Kurs abzuwickeln. Der Exporteur würde sich bei einem späteren Kurs von 1,40 Dollar je Euro – wie bei der Option – freuen. Bei einem späteren Kurs von 1,20 Dollar wird er sich hingegen über seinen entgangenen Gewinn ärgern, denn er hätte ja, wenn das Termingeschäft nicht abgeschlossen worden wäre, 833 333 Euro statt 769 231 Euro erhalten. Dafür hat er aber eine sichere Kalkulationsbasis. Er weiß, dass er in jedem Fall 769 231 Euro in drei Monaten erhalten wird.
Optionsgeschäfte sind natürlich aufgrund der Wahlmöglichkeit wesentlich kostspieliger als Termingeschäfte. Die Wahlmöglichkeit beinhaltet jedoch ein wesentliches Element der Finanzialisation. Das (in der Realwirtschaft tätige) Unternehmen kann auf den Reiz des Spekulierens setzen. Dieser steht jetzt im Fokus, jedoch nicht mehr das Qualitätsmerkmal einer sicheren Kalkulierbarkeit von Fremdwährungszahlungen. Banken wecken bei den Unternehmen die Lust auf diesen Reiz. Aufgrund der gegenüber Termingeschäften höheren Kosten haben sie ein großes Interesse an der Abwicklung von Optionsgeschäften. Auf der Internetseite der Commerzbank liest sich das wie folgt: »Die passende Devisenoption von der Commerzbank versichert Sie gegen negative
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