Das kritische Finanzlexikon
gleichgültig, ob sie in der Chart-, der Fundamentalanalyse oder irgendeiner anderen obskuren Handelsstrategie ihr Heil suchen.
Diese Leute sind im Grunde genommen professionelle Würfelspieler. Sie setzen darauf, dass bei einer hohen Zahl von Würfen sowie einer reichhaltigen Auswahl von Gewinnvarianten und Wurfkombinationen genug für sie herausspringt. Dabei sollten sie jedoch einmal über die Schwarzen Schwäne nachdenken, jene unvorhergesehenen Ereignisse, welche jegliche normalverteilungsorientierte Wahrscheinlichkeitsanalyse ad absurdum führen.
Heuschrecken
Die Private-Equity-Branche, die auf Übernahme nicht börsennotierter Firmen spezialisiert ist, erlebte vor einigen Jahren einen Boom. 2007 und 2008, noch vor dem Ausbruch der Finanzkrise, konnte sie mit stolzgeschwellter Brust ein Transaktionsvolumen von fast 700 Milliarden US-Dollar verkünden. Das Prinzip, ganze Firmen zu übernehmen und später mit Gewinn wieder abzustoßen, funktionierte prächtig; seinerzeit realisierte die Branche Gewinne von mehr als 11 Prozent ihres Volumens. Aber auch danach ging diesen selbst ernannten Finanzspezialisten nicht gänzlich die Luft aus. 2012 konnte die Branche noch ein Volumen von knapp 200 Milliarden Dollar bei weiterhin hohen Gewinnen verbuchen.
Das Prinzip, nach dem Privat-Equity vorgehen, kann man anhand eines einfachen Beispiels beschreiben. Und an diesem Beispiel wird auch deutlich, warum die Bezeichnung »Heuschrecken«, die sich für diese Art des finanzwirtschaftlichen Agierens durchgesetzt hat, berechtigt ist.
Wir gehen von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aus. (Eine GmbH ist nicht börsennotiert und damit ein potenzielles Opfer der Private-Equity-Branche). Das Unternehmen weist ein Eigenkapital von 3 Millionen Euro und eine Bilanzsumme von 4 Millionen Euro auf:
Die Private-Equity-Gesellschaft bietet nun den alten Eigentümern (also den GmbH-Gesellschaftern) für die Übernahme des Unternehmens 5 Millionen Euro. Das ist mehr als das in der Bilanz auftauchende Eigenkapital; die Überbezahlung von 2 Millionen Euro nennt sich goodwill. Mit dem goodwill wird das Entwicklungspotenzial eines Unternehmens honoriert. Damit ist er natürlich sehr schwierig zu quantifizieren. Kein Mensch kann zuverlässig sagen, ob eine halbe oder eine ganze Million, ob zwei oder gar drei Millionen für die GmbH als gerechtfertigter goodwill angesehen werden können.
Woher beschafft sich nun die Private-Equity-Gesellschaft die 5 Millionen Euro? Zunächst einmal wird sie bei sogenannten Wagniskapitalgebern vorstellig (also Leuten, die Bares haben und an einer satten Rendite interessiert sind). Angenommen, die stellen nun für den Deal 2 Millionen Euro zur Verfügung. Den Rest von 3 Millionen Euro steuert eine freundliche Bank als zinsgünstigen Kredit bei.
Nachdem die Private-Equity-Gesellschaft sich das Unternehmen einverleibt hat, sieht die Sache so aus:
Im April 2005 sagte der damalige SPD-Bundesfraktionsvorsitzende Franz Müntefering in einem Interview mit der Bild am Sonntag: »Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.«
Damit eröffnete er die »Heuschreckendebatte«. Seitdem hat sich der Begriff »Heuschrecke« als sinnbildliche Bezeichnung für Private-Equity-Unternehmen ebenso wie für Hedgefonds auf breiter Front durchgesetzt.
Wir können das Heuschrecken-Prinzip nicht direkt aus der neuen Bilanz GmbH ablesen, aber so viel ist schon mal klar: Die Private-Equity-Gesellschaft hat der alten GmbH ihre Struktur übergestülpt. Die ursprünglichen 3 Millionen Eigenkapital sind weg, weil die alten Gesellschafter ausgezahlt wurden. Dafür steht jetzt das Eigenkapital der neuen Private-Equity-Muttergesellschaft von 2 Millionen Euro (das von den Wagniskapitalgebern eingesammelte Geld) in der Bilanz. Die Verbindlichkeiten haben sich um den Bankkredit, welcher der Private-Equity-Gesellschaft gewährt wurde, erhöht. Und der goodwill wurde »aktiviert«; er steht jetzt also auf der Vermögensseite und wird in den nächsten Jahren nach und nach abgeschrieben. Mit jeder Abschreibung verringert sich der aktivierte goodwill – so lange, bis er auf null steht. Dann gilt der gezahlte Aufpreis als abgegolten.
Bei jeder Firmenübernahme lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung
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