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Das kritische Finanzlexikon

Das kritische Finanzlexikon

Titel: Das kritische Finanzlexikon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Wierichs
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eines Marktes. Die Komplexität und Differenziertheit des Marktgeschehens kommt dann ins Spiel, wenn es um die Emotionen, um Meinungen und Stimmungslagen bis hin zur Hysterie geht. Diese Emotionen können wir nicht beeinflussen und auch meist nicht erklären, denn der Mensch ist nun mal kein → homo oeconomicus , der stets aus streng rationalen Erwägungen heraus handelt. Und hier liegt die Tücke des »MarktHandelns« der Finanzakteure begründet.

Misstrauen
    Wer sich als Privatperson in einer prekären finanziellen Lage befindet, kann sich nur noch mithilfe von »Sofortkrediten« zu Wucherzinssätzen frisches Geld beschaffen.
    Banken haben da ein leichteres Spiel. Die → Europäische Zentralbank (EZB) hilft nämlich gerne aus. So beschloss sie im Dezember 2011 ein gigantisches Liquiditätshilfeprogramm in Höhe von fast einer halben Billion für die armen vom Misstrauen gebeutelten europäischen Banken. Laufzeit: 3 Jahre, Zinssatz 1 Prozent p.a., später dann 0,75 Prozent, aktuell 0,5 Prozent. Im März 2012 kam noch einmal die gleiche Summe zum gleichen Vorzugspreis hinzu (vgl. → Tender ).
    Wie gesehen haben wir eine → abartige Entwicklung bei den Finanzvermögen. Trotzdem gibt es immer mehr Geld für den Bankensektor. Weil einige Banken zwar einerseits groß sind, andererseits jedoch hohe Risikopositionen in ihren → Bankenaktiva ausweisen und folglich bei den »befreundeten« Banken (denen es besser geht) nicht mehr kreditwürdig sind, verteilt die EZB das Geld nach dem Gießkannenprinzip.
    Dieses Misstrauen unter den Banken hatten wir schon einmal – es trat zunächst im Zuge der Finanzkrise 2007 auf und setzt sich bis heute fort.
    Banken sind äußerst eng miteinander verflochten. Das kann man in jedem EZB-Monatsbericht nachlesen. Die folgenden Zahlen aus einem Monatsbericht spiegeln die typische Situation in Bezug auf die Kreditbeziehungen der Banken untereinander im Eurowährungsraum wider. Die EZB erfasst zu einem bestimmten Zeitpunkt:
    • Forderungen in Euro an Kreditinstitute im Eurowährungsgebiet: 1,17 Billionen Euro
    • Verbindlichkeiten in Euro gegenüber Kreditinstituten im Eurowährungsgebiet: 1,12 Billionen Euro
    Für ihr umtriebiges Agieren benötigen Banken Geld – viel Geld. Dies beschaffen sie sich von Kunden, von der EZB oder von anderen Banken. Zwischen den Banken findet ein lebhafter Geldhandel statt, ein »Handel am Interbankenmarkt«: Die eine Bank gibt, die andere Bank nimmt. Wer beim jüngsten Geldversorgungsgeschäft mit der Europäischen Zentralbank sehr viel Geld erhalten hat und feststellt, dass er den Inhalt des Füllhorns nicht komplett in Form von Krediten an Kunden oder am Markt für Spekulationsgelder unterbringen kann, gibt einen Teil seiner → Liquidität zeitweilig an eine Liquidität suchende andere Bank ab. Die Zinssätze firmieren als → Libor, Euribor und Co . Unterm Strich ergibt sich bei diesem Prozess ungefähr die gleiche Höhe von Forderungen und Verbindlichkeiten innerhalb der europäischen Bankenwelt.
    Wer als Otto Normalverbraucher einen Kredit benötigt, kommt an der Stellung von Sicherheiten meist nicht vorbei. Der »Blankokredit«, die Geldüberlassung ohne handfeste Sicherheiten, wird zwar nach einem Banken-Bonmot ironischerweise als »der beste aller Kredite« bezeichnet, er ist jedoch eher selten anzutreffen. Auch am Interbankenmarkt gibt es besicherte und unbesicherte Kredite. Naturgemäß liegt der Zinssatz bei unbesicherten Krediten, egal ob im Kunden- oder im Interbankengeschäft, aufgrund des höheren Risikos stets über dem Zins für Kredite, die gegen Sicherheiten gewährt werden. Bis zum Sommer 2007 war dieser Zinsabstand bei Geldgeschäften unter Banken jedoch äußerst gering. Wenn eine Bank bei einem anderen Kreditinstitut zum Beispiel einen Kredit mit einer Laufzeit von drei Monaten (3-Monatsgeld) aufnahm und keine Sicherheiten stellte, musste sie lediglich 0,1 Prozent bis 0,2 Prozent mehr berappen als die Nachbarbank, die eine Sicherheit (z.B. solide Wertpapiere) zu bieten hatte.
    Das änderte sich mit dem Aufkommen der ersten Probleme im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2007 schlagartig. Plötzlich stieg der Zinsabstand auf fast 1 Prozent. Und er vergrößerte sich. Das Misstrauen grassierte, keine Bank traute der anderen noch so recht. Man parkte überschüssige Liquidität lieber im sicheren Hafen namens → Europäische Zentralbank (EZB). Man wusste ja nie: Hatte der Interbanken-Handelspartner nicht vielleicht doch ein paar

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