Das krumme Haus
wohl nicht, Chefinspektor?«
»Vorläufig nicht. Wenn ich später noch kurz mit Ihnen sprechen darf…«
Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
»Nun, Chefinspektor?«, sagte Philip.
»Ich weiß, Sie haben viel zu tun, und ich möchte Sie nicht lange aufhalten. Aber ich erwähne Ihnen gegenüber im Vertrauen, dass unser Verdacht sich bestätigt hat. Ihr Vater ist keines natürlichen Todes gestorben. Der Tod ist auf eine Überdosis Physostigmin, meist Eserin genannt, zurückzuführen.«
Philip senkte den Kopf. Er zeigte keine besondere Bewegung. »Meiner Ansicht nach hat sich mein Vater das Gift durch einen unglücklichen Zufall injiziert.«
»Glauben Sie das wirklich, Mr Leonides?«
»Ja, es scheint mir durchaus möglich. Er war nahe an die Neunzig, bedenken Sie, und er sah nicht mehr gut.«
»Folglich schüttete er die Augentropfen in eine Insulinflasche. Scheint Ihnen das wirklich glaubhaft, Mr Leonides?«
Philip antwortete nicht. Sein Gesicht wurde sogar noch steinerner.
Taverner fuhr fort: »Die leere Augentropfenflasche haben wir gefunden – im Abfalleimer. Ohne Fingerabdrücke. Das ist an und für sich merkwürdig. Normalerweise sollte sie Fingerabdrücke haben. Von Ihrem Vater, von Ihrer Stiefmutter oder von dem Diener…«
Philip Leonides blickte auf.
»Was ist mit dem Diener? Was ist mit Johnson?«
»Sie meinen, Johnson könnte die Tat begangen haben? Er hatte entschieden Gelegenheit. Aber wenn wir die Frage des Motivs betrachten, sieht die Sache anders aus. Ihr Vater zahlte ihm nicht nur jedes Jahr eine Gratifikation, sondern erhöhte diese auch Jahr für Jahr. Ihr Vater hatte ihm deutlich gesagt, dass er dafür im Testament nicht bedacht werden würde. Nach siebenjähriger Dienstzeit hatte die Gratifikation eine hübsche Höhe erreicht, und Johnson hatte gewiss alles Interesse daran, dass Ihr Vater möglichst lange lebte. Außerdem stand er ausgezeichnet mit ihm, und Johnsons Leumund als Diener ist untadelig. Johnson verdächtigen wir nicht.«
Philip gab tonlos zurück: »Ich verstehe.«
»Und nun, Mr Leonides, möchte ich Sie bitten, mir genau zu schildern, was Sie am Todestag Ihres Vaters getan haben.«
»Gern. Ich war den ganzen Tag hier, in diesem Zimmer, mit Ausnahme der Mahlzeiten natürlich.«
»Sahen Sie Ihren Vater?«
»Ich sagte ihm wie üblich nach dem Frühstück guten Morgen.«
»Waren Sie da mit ihm allein?«
»Meine… ähem… Stiefmutter war bei ihm.«
»Benahm er sich wie immer?«
Mit leichtem Spott gab Philip Bescheid: »Er schien keine Vorahnung zu haben, dass er an diesem Tage ermordet werden sollte.«
»Ist die Wohnung Ihres Vaters ganz getrennt von diesem Teil des Hauses?«
»Ja, man hat nur Zugang durch die Tür in der Halle.«
»Wird die Tür verschlossen?«
»Nein, nie.«
»Jeder konnte also ungehindert zu ihm gehen?«
»Gewiss.«
»Wer brachte Ihnen die Nachricht vom Tod Ihres Vaters?«
»Mein Bruder Roger, der den Westflügel des oberen Stocks bewohnt, kam heruntergelaufen und sagte, Vater hätte plötzlich einen Anfall. Er hätte Atembeschwerden und scheine sehr krank zu sein.«
»Was taten Sie daraufhin?«
»Ich rief sofort den Arzt an, woran bis dahin offensichtlich niemand gedacht hatte. Der Arzt war nicht zuhause; aber ich ließ ihm ausrichten, er möchte so schnell wie möglich zu uns kommen. Dann lief ich hinauf. Es ging meinem Vater tatsächlich sehr schlecht. Er starb, bevor der Arzt eintraf.«
»Wo waren die übrigen Familienmitglieder?«
»Meine Frau war in London. Sophia war, glaube ich, auch nicht da. Eustace und Josephine waren daheim.«
»Hoffentlich missverstehen Sie mich nicht, Mr Leonides, wenn ich Sie frage, ob der Tod Ihres Vaters Ihre finanzielle Lage beeinflussen wird?«
»Ich verstehe durchaus, dass Sie das wissen müssen. Mein Vater sorgte schon vor vielen Jahren für unsere finanzielle Unabhängigkeit. Er machte meinen Bruder zum Vorsitzenden und Hauptaktionär der Lebensmittel-AG, seiner größten Firma, und überließ ihm die Leitung vollständig. Mir überschrieb er ein Vermögen, das seiner Ansicht nach dem Einkommen meines Bruders entsprach – es waren Aktien und Wertpapiere im Wert von hundertfünfzigtausend Pfund, glaube ich –, sodass ich dieses Kapital verwenden konnte, wie ich wollte. Auch meinen beiden – mittlerweile verstorbenen – Schwestern setzte er damals sehr großzügig bemessene Summen aus.«
»Aber er blieb immer noch sehr wohlhabend?«
»Nein, für sich behielt er nur ein
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