Das krumme Haus
will dir helfen.«
»Auf keinen Fall. Nannie geriete ganz durcheinander, wenn ein Mann in der Küche wäre.«
»Noch eine Frage«, hielt ich sie auf. »Habt ihr eigentlich keine Köchin?«
»Großvater hatte eine Köchin, zwei Zimmermädchen und einen Diener. Er liebte Hausangestellte, und da er ihnen fürstliche Löhne bezahlte, bekam er sie auch. Clemency und Roger begnügen sich mit einer Putzfrau. Sie mögen Dienstmädchen nicht, oder vielmehr Clemency mag sie nicht. Wenn Roger nicht jeden Tag eine ordentliche Mahlzeit in der Stadt zu sich nehmen würde, müsste er wohl verhungern. Nach Clemencys Ansicht braucht ein Essen nur aus Salat, Tomaten und rohen Karotten zu bestehen. Manchmal haben wir Hausangestellte, und dann hat Mutter einen ihrer Temperamentsausbrüche, und sie kündigen. Dann nehmen wir eine Aushilfe, bis alles wieder von vorn anfängt. Augenblicklich haben wir die Aushilfsperiode. Nannie ist der ruhende Pol in den Erscheinungen Flucht und bewältigt im Notfall alles. So, nun weißt du Bescheid.« Damit ging sie hinaus.
Ich ließ mich in einem breiten Brokatsessel nieder und dachte nach. Ich hatte nicht nur Brendas und Sophias Standpunkt kennen gelernt, sondern ich betrachtete die Angelegenheit auch von der menschlichen Seite. Das schien mir immerhin wichtig zu sein.
Wieso hatte Brenda Leonides mein Mitleid erweckt? Ich versuchte mir ihr Gesicht vorzustellen; aber es verschwamm mit Sophias Antlitz, mit dem Porträt des alten Mannes… die Augen fielen mir zu…
10
D as Bewusstsein kehrte mir so allmählich zurück, dass mir zuerst gar nicht klar war, dass ich geschlafen hatte. Vor mir war etwas Helles. Es dauerte einige Sekunden, bis ich merkte, dass es ein Gesicht war. Ich erkannte eine runde Stirn, zurückgekämmtes dunkles Haar und schwarze, stechende Äuglein, die mich sehr ernst betrachteten.
»Guten Tag. Ich bin Josephine.«
Sophias Schwester mochte elf oder zwölf Jahre alt sein. Sie war ein unglaublich hässliches Kind, das die Verwandtschaft mit ihrem Großvater nicht leugnen konnte. Ich hielt es für möglich, dass sie auch ebenso intelligent war.
»Sie sind also Sophias Schatz«, sagte Josephine.
Die Richtigkeit dieser Bemerkung konnte ich nicht abstreiten.
»Aber Sie sind mit Chefinspektor Taverner hergekommen. Warum?«
»Er ist ein Freund von mir.«
»Ach? Ich mag ihn nicht. Ich werde ihm nichts verraten.«
»Was willst du ihm nicht verraten?«
»Was ich weiß. Ich weiß sehr viel. Es macht mir Spaß, viel zu wissen.«
Sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels und betrachtete so forschend mein Gesicht, dass mir ganz unbehaglich zu Mute wurde.
»Großvater ist ermordet worden. Wussten Sie das?«
»Ja, das wusste ich schon.«
»Man hat ihn vergiftet. Mit E-se-rin.« Sie sprach das Wort sehr sorgfältig aus. »Interessant, nicht?«
»Na ja…«
»Eustace und ich finden das sehr interessant. Wir lieben Kriminalgeschichten. Ich wollte schon immer Detektiv werden. Jetzt bin ich einer. Ich sammle Beweise. Die Polizei ist ja so dumm.«
Ich fand das Kind ziemlich unheimlich.
»Der andere Mann, der mit Chefinspektor Taverner kam, ist auch ein Detektiv, nicht wahr? In den Büchern steht, man erkennt Detektive immer daran, dass sie Stiefel tragen. Aber dieser Detektiv trägt Wildlederhalbschuhe.«
»Manche Dinge ändern sich eben…«
»Ja, hier wird sich wahrscheinlich auch vieles ändern. Wir werden wohl nach London ziehen. Mutter wünschte sich das schon lange, und sie wird sich sehr freuen. Vater hat sicher auch nichts dagegen, wenn seine Bücher endlich gehen. Früher konnte er es sich nicht leisten, nach London zu ziehen. Er hat nämlich mit Isebel schrecklich viel Geld verloren.«
»Isebel?«, wiederholte ich fragend.
»Ja, haben Sie es nicht gesehen?«
»Ach so, ein Theaterstück… Nein, ich habe es nicht gesehen. Ich war im Ausland.«
»Es wurde nicht lange gespielt. Es war eine aufgelegte Pleite. Ich finde auch nicht, dass Mutter sich für die Isebel eignet. Finden Sie, dass das eine Rolle für sie ist?«
»Eigentlich wohl nicht«, antwortete ich vorsichtig.
»Großvater sagte von Anfang an, es gäbe eine Pleite. Er sagte, es würde niemals ein Kassenschlager sein. Aber Mutter war ganz erpicht darauf. Mir gefiel das Stück gar nicht. Die Isebel war gar nicht so schlecht wie in der Bibel. Sie war ganz patriotisch und sehr nett. Dadurch wurde alles langweilig. Aber der Schluss war gut. Da wurde sie zum Fenster rausgeworfen. Nur kamen keine Hunde, um
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