Das krumme Haus
Sie glauben mir doch, nicht wahr?«
Ich glaubte ihr. Das heißt, ich glaubte ihr, dass sie und Laurence nur, wie sie sich ausgedrückt hatte, gute Freunde waren. Aber ich glaubte auch, dass Brenda, vielleicht ohne sich darüber klar zu sein, den jungen Mann liebte. Dieser Gedanke bewegte mich, als ich hinunterging, um Sophia zu suchen. Sie kam gerade aus der Küche am Ende des Flurs.
»Da bist du ja«, sagte sie. »Ich helfe Nannie bei den Vorbereitungen zum Mittagessen.« Sie ergriff meinen Arm und führte mich in den leeren Salon. »Nun, hast du Brenda kennen gelernt? Was hältst du von ihr?«
»Offen gestanden, sie tut mir leid.«
Sophia sah belustigt aus.
»Sie hat dich also eingefangen.«
Das reizte mich ein wenig. »Ich verstehe nur ihren Standpunkt. Anscheinend kannst du das nicht.«
»Ihren Standpunkt in welcher Beziehung?«
»Sag ehrlich, Sophia, war jemand von euch jemals nett zu ihr, seit sie hierher kam?«
»Nein, wir waren nicht nett zu ihr. Warum auch?«
»Nur aus christlicher Nächstenliebe, wenn aus keinem andern Grund.«
»Was für einen hochmoralischen Ton du anschlägst, Charles! Brenda muss ihre Sache sehr gut gemacht haben.«
»Wirklich, Sophia, es kommt mir vor… Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist.«
»Ich bin nur ehrlich und mache dir nichts vor. Du hast Brenda verstanden, sagst du. Jetzt versuch mal, mich zu verstehen. Ich schätze den Typ Frau nicht, der eine traurige Geschichte erfindet, um sich damit einen sehr reichen, alten Mann zu kapern. Wenn du von einer solchen Frau lesen würdest, hättest du auch nicht viel für sie übrig.«
»War die Geschichte denn erfunden?«, fragte ich.
»Das mit dem Kind? Ich weiß nicht. Ich persönlich halte es für eine Finte.«
»Und du ärgerst dich, dass dein Großvater darauf hereingefallen ist?«
»Oh, Großvater ist nicht drauf hereingefallen.« Sie lachte. »Er ließ sich nie reinlegen. Er wollte Brenda. Er wollte Märchenprinz spielen. Er wusste genau, was er tat, und sein Plan glückte durchaus. Von Großvaters Standpunkt aus brachte ihm die Ehe den gewünschten Erfolg – wie übrigens alle seine Unternehmungen.«
»Und dass Laurence Brown als Hauslehrer angestellt wurde, zählt das auch zu seinen Erfolgen?«, fragte ich spöttisch.
Sie runzelte die Brauen.
»Weißt du, vielleicht doch. Er wollte Brenda bei guter Laune halten. Möglicherweise fand er, dass Schmuck und Kleider nicht genügten. Vielleicht dachte er, sie müsste auch noch einen kleinen Roman erleben. Er rechnete vielleicht damit, dass ein Mann wie Laurence Brown, ein Ungefährlicher, ein Zahmer, wenn du verstehst, was ich meine, das richtige Werkzeug wäre. Eine wunderschöne Seelenfreundschaft mit melancholischem Einschlag, so etwas musste Brenda davor bewahren, eine wirkliche Beziehung zu einem andern anzuknüpfen. Ich könnte mir vorstellen, dass Großvater sich etwas in der Richtung dachte. Er war nämlich ein Teufelskerl. Natürlich konnte er nicht voraussehen, dass es mit einem Mord enden würde… Und darum«, sie sprach mit plötzlicher Heftigkeit, »glaube ich auch nicht, dass Brenda es getan hat, so gern ich es glauben möchte. Wenn sie die Absicht gehabt hätte, ihn zu ermorden, ob allein oder im Einverständnis mit Laurence, hätte Großvater es gemerkt. Das klingt vielleicht etwas weit hergeholt…«
»Ja, wahrhaftig«, warf ich ein.
»Aber du kanntest ihn eben nicht. Bestimmt hätte er etwas gemerkt.«
»Sie hat Angst, Sophia.«
»Vor der Polizei? Nun ja, polizeiliche Verhöre sind ja auch beunruhigend. Laurence ist wohl ebenfalls ganz aufgelöst?«
»Er stellte sich auf ziemlich peinliche Weise bloß. Ich verstehe nicht, was eine Frau an diesem Mann finden kann.«
»Nein? Oh, Laurence hat sehr viel Sexappeal.«
»Dieser Schlappschwanz?«, gab ich ungläubig zurück.
»Warum nehmt ihr Männer immer an, dass wir Frauen nur Kraftprotze anziehend finden? Laurence hat wirklich Sexappeal; aber man kann von dir nicht erwarten, dass du das merkst. Dafür hat Brenda dich eingefangen.«
»Lächerlich. Sie ist nicht einmal wirklich schön. Und sie hat nicht im Geringsten…«
»Ihre Reize spielen lassen? Nein, nur dein Mitleid erweckt. Sie ist nicht schön, sie ist ganz und gar nicht gescheit; aber sie hat eine hervorragende Eigenschaft. Sie kann Verwirrung stiften. Schon hat sie zwischen uns Verwirrung gestiftet.«
»Sophia!«, rief ich entsetzt.
»Lass nur, Charles.« Sie ging auf die Tür zu. »Ich muss mich ums Essen kümmern.«
»Ich
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