Das krumme Haus
sie aufzufressen. Schade, nicht? Die Stelle, wo die Hunde sie fressen, gefällt mir am besten. Mutter sagt, man könnte keine Hunde auf die Bühne bringen; aber das sehe ich nicht ein. Man brauchte sie ja nur zu dressieren.« Josephine zitierte mit Emphase: »›Als man aber hinging, um sie zu begraben, fand man von ihr nichts mehr als den Schädel, die Füße und die Hände.‹ Warum haben die Hunde nicht auch ihre Füße und Hände gefressen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich.
»Hunde sind doch sonst nicht so heikel. Unsere Hunde fressen einfach alles.« Josephine versank in Nachdenken über dieses biblische Geheimnis.
»Schade, dass das Stück nicht zog«, sagte ich.
»Ja. Mutter regte sich deswegen wahnsinnig auf. Die Kritiken waren vernichtend. Als sie sie las, weinte sie und warf Gladys das Frühstückstablett an den Kopf, und Gladys kündigte. Das war sehr lustig.«
»Es gefällt dir wohl, wenn es dramatisch zugeht«, bemerkte ich.
»Bei Großvater wurde eine Autopsie vorgenommen. Man wollte feststellen, woran er gestorben ist.«
»Bist du traurig, dass er tot ist?«, fragte ich.
»Nicht besonders. Ich mochte ihn nicht sehr. Er erlaubte mir nicht, Ballettstunden zu nehmen.«
»Wolltest du denn tanzen lernen?«
»Ja, und Mutter wünschte, dass ich Stunden nehme, und Vater hatte nichts dagegen; aber Großvater sagte, es sei sinnlos.« Sie glitt vom Sessel, streifte ihre Schuhe ab, stellte sich auf die Zehenspitzen und machte ein paar Schritte. »Dabei muss man natürlich Spitzenschuhe anhaben«, erklärte sie. »Die machen einem oft ganz wunde Füße.« Sie zog ihre Schuhe wieder an und fragte beiläufig: »Gefällt Ihnen dieses Haus?«
»Ich weiß nicht recht…«
»Ich glaube, es wird jetzt verkauft werden. Falls Brenda hier nicht weiterwohnen will. Onkel Roger und Tante Clemency werden ja jetzt nicht fortfahren können.«
»Wollten sie das denn?«, erkundigte ich mich mit leiser Neugier.
»Ja, sie wollten am Dienstag ins Ausland reisen. Mit dem Flugzeug. Tante Clemency hatte sich schon einen ganz leichten Koffer gekauft.«
»Davon hab ich noch gar nichts gehört.«
»Niemand wusste es. Es war ein Geheimnis. Man sollte es erst nach der Abreise erfahren. Sie wollten einen Brief für Großvater zurücklassen.«
»Josephine, weißt du, warum Onkel Roger fort wollte?«
Sie warf mir einen schlauen Seitenblick zu.
»Ich glaube, ja. Es hängt mit seinem Geschäft in London zusammen. Ich glaube fast, er hat etwas unterschlagen; aber sicher bin ich nicht.«
»Wie kommst du darauf?«
Josephine trat näher.
»An dem Tag, an dem Großvater vergiftet wurde, war Onkel Roger lange bei ihm, und sie sprachen miteinander. Onkel Roger sagte, er hätte nie etwas getaugt, hätte Großvater nur etwas vorgemacht, es wäre weniger das Geld als das Gefühl, des in ihn gesetzten Vertrauens unwürdig zu sein. Er war wahnsinnig aufgeregt.«
Mit gemischten Gefühlen blickte ich Josephine an.
»Josephine, hat man dir nie gesagt, dass es ungezogen ist, an den Türen zu horchen?«
Josephine nickte heftig.
»Doch, natürlich. Aber wenn man etwas herausfinden will, muss man ja horchen. Ich wette, Chefinspektor Taverner tut das auch. Der andere, der mit den Wildlederhalbschuhen, tut es auf jeden Fall. Und sie gucken in die Schreibtische anderer Leute und lesen fremde Briefe und erschnüffeln alle ihre Geheimnisse. Nur sind sie dumm! Sie wissen nicht, wo man nachschauen muss!«
Josephine sprach mit kalter Überlegenheit. Ich war selbst dumm genug, nicht nachzuhaken.
Das unsympathische Kind fuhr fort: »Eustace und ich wissen sehr viel, ich noch mehr als Eustace. Und ich sage ihm nicht, was ich weiß. Er behauptet, nur Männer können große Detektive sein. Aber ich behaupte, Frauen können es auch. Ich schreibe alles in einem Notizbuch auf, und wenn dann die Polizei nicht mehr ein noch aus weiß, werde ich vortreten und sagen: ›Ich kann euch verraten, wer es getan hat.«‹
»Liest du viele Detektivgeschichten, Josephine?«
»Massenhaft.«
»Du glaubst zu wissen, wer deinen Großvater getötet hat?«
»Oh, vielleicht; aber ich muss noch mehr Beweise haben.«
Nach einer Pause fragte sie: »Chefinspektor Taverner verdächtigt Brenda, nicht wahr? Oder Brenda und Laurence, weil sie ineinander verliebt sind.«
»So etwas solltest du nicht sagen, Josephine.«
»Warum nicht? Sie sind doch ineinander verliebt.«
»Das kannst du gar nicht beurteilen.«
»O doch. Sie schreiben sich ja Briefe.
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