Das krumme Haus
und die Kinder sind die einzigen Blutsverwandten. Vater vermachte fünfzigtausend Pfund Tante Edith, hunderttausend Pfund Brenda, dazu dieses Haus oder ein passendes Haus in London, das für sie gekauft werden sollte, wenn sie diese Lösung vorzöge. Der Rest sollte gedrittelt werden, ein Drittel für mich, eins für Philip, und das letzte Drittel zu gleichen Teilen für Sophia, Eustace und Josephine. Der an Eustace und Josephine fallende Teil sollte ihnen am Tag ihrer Mündigkeit ausbezahlt werden. Das stimmt doch so, Dr. Gaitskill?«
»Ja, in groben Zügen«, erwiderte Gaitskill, der leicht gekränkt schien, weil er nicht zu Wort gekommen war.
»Vater fragte, ob wir dazu noch etwas zu bemerken hätten«, berichtete Roger weiter. »Das war natürlich nicht der Fall.«
»Brenda machte eine Bemerkung«, verbesserte Edith de Haviland.
»Ja«, fiel Magda eifrig ein, »sie sagte, sie könnte es nicht ertragen, ihren geliebten Aristide vom Tod reden zu hören. Sie bekäme Angst, sagte sie. Und wenn er tot wäre, wollte sie überhaupt nichts von seinem Geld haben!«
»Ein Pro-forma-Protest«, sagte Edith, »bezeichnend für Leute ihres Standes.« Durch diesen bissigen Hieb wurde mir plötzlich klar, welch starke Abneigung Edith de Haviland gegen Brenda hegte.
»Und was geschah nach dem Verlesen des Testaments?«, forschte Taverner.
»Nachdem er es vorgelesen hatte, unterschrieb er es.«
Taverner lehnte sich vor.
»Wie und wann unterschrieb er es?«
Roger blickte Hilfe suchend seine Frau an. Zur sichtlichen Zufriedenheit der ganzen Familie übernahm Clemency es zu antworten.
»Mein Schwiegervater legte das Schriftstück auf seinen Schreibtisch und bat einen von uns – Roger, glaube ich – zu läuten. Als Johnson daraufhin kam, befahl mein Schwiegervater ihm, Janet Woolmer, das Zimmermädchen, zu holen. Als beide da waren, setzte er seine Unterschrift unter das Testament und ließ Johnson und Janet als Zeugen unterzeichnen.«
»Alles völlig korrekt«, nickte Gaitskill.
»Und danach?«, fragte der Chefinspektor.
»Mein Schwiegervater bedankte sich, und die beiden gingen wieder hinaus. Er steckte das Schriftstück in einen großen Umschlag und sagte, er wolle es am folgenden Tag an Dr. Gaitskill schicken.«
»Das Testament lag auf dem Schreibtisch. Saß jemand in der Nähe?«
»Nein. Der Nächstsitzende war etwa vier bis fünf Meter entfernt.«
»Stand Mr Leonides irgendwann einmal auf und ging vom Schreibtisch fort?«
»Nein.«
»Konnten die Dienstboten das Schriftstück lesen, als sie es unterzeichneten?«
»Nein«, antwortete Clemency, »mein Schwiegervater hatte den Text mit einem Löschblatt zugedeckt.«
»Durchaus richtig«, warf Philip ein. »Der Inhalt des Testaments ging die Dienstboten ja auch gar nichts an.«
Mit einer raschen Bewegung entnahm Taverner seiner Mappe einen großen gelben Umschlag, den er dem Anwalt reichte. »Schauen Sie sich das einmal an, und sagen Sie mir, was es ist.«
Gaitskill zog aus dem Umschlag ein gefaltetes Schriftstück, das er mit großer Verwunderung betrachtete.
»Sonderbar«, er schüttelte den Kopf, »wo war das, wenn ich fragen darf?«
»Unter Mr Leonides’ übrigen Papieren.«
»Was ist denn?«, rief Roger.
»Das ist das Testament, das ich Ihrem Vater zum Unterzeichnen schickte. Aber ich verstehe nicht… es trägt keine Unterschrift.«
»Dann wird es wohl der Entwurf sein.«
»Nein«, entgegnete der Anwalt, »den Entwurf erhielt ich ja zurück. Ich setzte dann das Testament auf, dieses Testament«, er klopfte darauf, »und sandte es ihm zum Unterzeichnen. Nach Ihrer aller Aussage unterschrieb er es im Beisein zweier Zeugen, und doch ist hier keine einzige Unterschrift zu sehen.«
»Unmöglich!«, rief Philip mit einer Lebhaftigkeit, die ich bis jetzt noch nie an ihm bemerkt hatte.
Taverner fragte: »Wie stand es mit dem Sehvermögen Ihres Vaters?«
»Er litt an Glaucoma und benutzte beim Lesen natürlich eine starke Brille. Die Brille hatte er damals auf, und er nahm sie erst ab, nachdem er das Testament in den Umschlag gesteckt hatte.«
Taverner seufzte.
»Es muss irgendein Tausch vorgenommen worden sein. Offenbar glaubte Mr Leonides das Testament zu unterzeichnen, das er vorgelesen hatte. Aber wie könnte man solch einen Tausch…«
Etwas ratlos blickte er sich um.
»Vielleicht sind die Unterschriften ausradiert worden?«, meinte Roger.
»Nein, Mr Leonides, dann wären Spuren zurückgeblieben. Es gibt noch eine Lösung des Rätsels: Das
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