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Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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wollte?«
    »Gewiss. Er gab seiner Bank Anweisungen.«
    Vermutlich sah Roger die Ungläubigkeit auf den Gesichtern der beiden Männer. Er errötete und fuhr fort: »Den Brief habe ich noch. Ich hätte ihn absenden sollen. Aber dann vergaß ich ihn über dem Schrecken und dem Durcheinander. Wahrscheinlich habe ich ihn sogar bei mir…« Er zog seine Brieftasche hervor und kramte darin herum. Schließlich fand er einen Briefumschlag. »Da, lesen Sie, wenn Sie mir nicht glauben.«
    Mein Vater riss den Umschlag auf. Taverner trat neben ihn. Ich bekam den Brief erst später zu sehen. Darin wurde die Bank Greatorex & Hanbury beauftragt, bestimmte Papiere zu verkaufen und am folgenden Tag einen Vertreter zu schicken, der Anweisungen betreffs der Lebensmittel-AG entgegennehmen sollte. Einiges blieb mir unverständlich; doch an sich war das Schreiben durchaus klar.
    Taverner füllte eine Empfangsbescheinigung aus und reichte sie Roger: »Wir behalten den Brief vorläufig noch, Mr Leonides. Was taten Sie, nachdem Ihr Vater Ihnen diesen Brief gegeben hatte?«
    »Ich ging in meine Wohnung zurück. Meine Frau war gerade heimgekommen. Ich erzählte ihr, was mein Vater vorhatte.«
    »Und wann wurden Sie wieder zu ihm geholt?«
    »Warten Sie… eine halbe Stunde oder vielleicht eine Stunde später. Brenda kam ganz entsetzt zu uns. Ich lief sofort mit ihr hinüber. Aber das sagte ich Ihnen ja schon.«
    »Betraten Sie während Ihres ersten Besuchs das Badezimmer Ihres Vaters?«
    »Ich glaube nicht. Nein, sicher nicht. Aber Sie können doch unmöglich glauben, dass ich…«
    Mein Vater erstickte die jähe Entrüstung, indem er aufstand und Roger die Hand drückte.
    »Besten Dank, Mr Leonides. Sie haben uns weitergeholfen. Nur hätten Sie uns all das früher sagen sollen.«
    Die Tür schloss sich hinter Roger Leonides. Ich erhob mich und las den Brief.
    »Es könnte eine Fälschung sein«, meinte Taverner hoffnungsvoll.
    »Das glaube ich nicht«, entgegnete mein Vater. »Der alte Leonides wollte seinem Sohn aus der Patsche helfen. Das konnte er als Lebender besser besorgen als Roger nach dem Tod des Vaters, zumal ja das Testament nicht auffindbar ist und folglich Rogers Erbschaft fraglich bleibt. Das ergibt Verzögerungen und Schwierigkeiten. Wie die Dinge jetzt stehen, muss die Firma zusammenbrechen. Nein, Taverner, Roger Leonides und seine Frau hatten kein Motiv, den Alten aus dem Weg zu räumen. Im Gegenteil…« Er brach ab und wiederholte nachdenklich, als ob ihm plötzlich etwas eingefallen wäre: »Im Gegenteil…«
    »Was meinen Sie?«, fragte Taverner.
    »Wenn Aristide Leonides nur vierundzwanzig Stunden länger gelebt hätte, wäre Roger alle Schwierigkeiten los gewesen.«
    »Hm«, machte Taverner. »Glauben Sie, dass jemand im Hause Roger den Ruin wünschte? Jemand, der entgegengesetzte finanzielle Interessen hatte? Leuchtet mir nicht sehr ein.«
    »Wie sieht die Sache jetzt eigentlich aus?«, fragte mein Vater. »Wer erbt denn nun?«
    Taverner stieß einen Seufzer aus.
    »Sie wissen ja, wie Juristen sind. Man bekommt keine klare Auskunft von ihnen. Es gibt ein früheres Testament, das er bei der zweiten Eheschließung aufgesetzt hatte. Danach erhält die zweite Frau dieselbe Summe, Miss Haviland weniger, der Rest geht an Philip und Roger. Ich hätte gedacht, dass dieses Testament in Kraft treten würde, da das spätere nicht unterzeichnet ist; aber so einfach scheint die Sache nicht zu sein, weil Zeugen vorhanden sind, die der Unterzeichnung beiwohnten und die ›Absicht des Testators‹ beschwören können. Wenn keins der beiden Testamente gültig ist, erbt die Witwe alles oder hat zumindest lebenslangen Nießnutz.«
    »Dann würde also Brenda Leonides am meisten profitieren?«
    »Ja. Wenn wirklich ein Schwindel dahintersteckt, müsste sie eigentlich davon wissen. Aber wie?«
    Das ahnte ich auch nicht. Die Sache war uns schleierhaft. Aber wir sahen sie natürlich verkehrt an.

12
     
    N achdem Taverner gegangen war, fragte ich: »Sag, Dad, was für ein Mensch ist ein Mörder?«
    Mein Alter Herr sah mich nachdenklich an.
    »Ich weiß nicht, ob ich die richtige Person bin, dir da Auskunft zu geben. Ein Psychologe oder ein Psychiater könnte das wohl besser. Aber du möchtest wohl hören, was ich persönlich aufgrund meiner Erfahrungen von Verbrechern halte?«
    »Ja, genau das«, antwortete ich dankbar.
    Mein Vater beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis auf dem Schreibtisch. »Was für ein Mensch ist ein Mörder?« Ein

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