Das krumme Haus
gemacht hat.«
»Roger Leonides?«
»Ja. Er hat ja alles in der Hand.«
»Und er arbeitete in die eigene Tasche…«
»Das glaube ich nicht«, unterbrach Taverner mich. »Er mag ein Mörder sein; aber für einen Schwindler oder Betrüger halte ich ihn nicht. Er ist, rund heraus, gesagt, ein Dummkopf. Offenbar fehlt es ihm gänzlich an Urteilsfähigkeit und Geschäftssinn. Er hat abgestoßen, wo er hätte kaufen müssen, und war zurückhaltend, wo er etwas hätte wagen sollen. Er hat Leute bevollmächtigt, die dafür nicht im Geringsten geeignet waren. Er ist sehr vertrauensselig und hat sich in den Menschen getäuscht. Zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit hat er das Verkehrte gemacht.«
»Solche Leute gibt es«, fiel mein Vater ein, »und es sind nicht einmal immer die schlechtesten. Sie haben keine Menschenkenntnis, das ist des Pudels Kern. Und sie entwickeln Begeisterung, wenn es gerade nicht angebracht ist.«
»Ein solcher Mann sollte sich überhaupt nicht mit Geschäften befassen«, meinte Taverner.
»Er hätte es wahrscheinlich auch nicht getan, wenn er nicht Aristide Leonides’ Sohn gewesen wäre«, sagte mein Vater.
»Das Geschäft ging glänzend, als er es von seinem Vater übernahm. Es hätte eine Goldmine sein können! Er brauchte sich ja nur auf die faule Haut zu legen und alles weiterlaufen zu lassen.«
Mein Vater schüttelte den Kopf.
»Man kann ein Geschäft nicht sich selbst überlassen. Da sind Entscheidungen zu treffen, Leute einzustellen oder zu entlassen… lauter Dinge, die Roger Leonides offenbar nicht liegen.«
»Er ist ein anständiger Kerl«, sagte Taverner. »Er behielt die untüchtigsten Leute, nur weil er sie gern hatte oder weil sie schon lange im Geschäft waren. Außerdem hatte er manchmal fantastische, unpraktische Ideen, die er unbedingt ausprobieren wollte, obwohl ungeheure Auslagen damit verbunden waren.«
»Wieso dann ein Mord?«, fragte ich.
»Ob Undichtigkeit oder Schuftigkeit, das Ergebnis ist dasselbe«, antwortete Taverner, »oder fast dasselbe. Die Lebensmittel-AG kann nur vor dem Zusammenbruch gerettet werden, wenn spätestens bis…«, er schaute in seinem Notizbuch nach, »bis nächsten Mittwoch eine riesige Summe aufgebracht wird.«
»Eine ebenso hohe Summe, wie er laut Testament seines Vaters einmal erben sollte?«
»Stimmt.«
»Aber er hätte das Geld ja nicht in bar bekommen.«
»Das nicht, aber unbeschränkten Kredit erhalten.«
Mein Vater fragte: »Wäre es nicht am einfachsten gewesen, den alten Leonides um Hilfe zu bitten?«
»Das tat er meiner Ansicht nach«, antwortete Taverner. »Das war vermutlich die Unterredung, die das Kind hörte. Ich nehme an, dass der alte Herr es kurzerhand ablehnte, gutes Geld schlechtem nachzuwerfen. Das entspräche seiner Natur.«
Damit hatte Taverner sicher Recht. Aristide Leonides hatte es ja auch abgelehnt, die Aufführung von Isebel zu finanzieren, die er für einen finanziellen Misserfolg gehalten hatte. Er war seinen Angehörigen gegenüber großzügig gewesen; aber niemals hätte er Geld in unrentable Unternehmungen gesteckt. Ja, demnach hätte Roger ein Motiv gehabt, seinen Vater aus dem Weg zu räumen.
Mein Vater schaute auf die Uhr.
»Ich hab ihn herbestellt. Er muss jede Minute kommen.«
»In die Höhle des Löwen«, murmelte ich.
Taverner sah mich vorwurfsvoll an.
»Wir werden ihn anständig behandeln«, sagte er ernst.
Als alle Vorbereitungen getroffen waren und der protokollierende Beamte auf seinem Platz saß, trat Roger Leonides wie aufs Stichwort ein. Er schien verlegen oder übereifrig zu sein, denn er stieß gegen einen Stuhl. Er hatte etwas von einem gutmütigen, großen Hund. Ich hielt es für undenkbar, dass er den Inhalt der beiden Flaschen vertauscht hatte. Dabei wäre ihm bestimmt ein Missgeschick zugestoßen. Nein, Clemency musste, vielleicht angestiftet von ihm, gehandelt haben.
Seine Worte überstürzten sich: »Sie wollten mich sprechen? Sie haben also etwas herausgefunden? Oh, guten Tag, Mr Hayward. Ich habe Sie gar nicht gesehen. Nett, dass Sie auch da sind. Bitte, sagen Sie mir, Kommissar…«
Ich kam mir vor wie ein Judas, als ich ihm lächelnd zunickte. Mein Vater war von amtlicher Kühle.
»Ich habe Sie hergebeten, Mr Leonides, nicht um Sie zu informieren, sondern um von Ihnen Informationen zu erhalten, Informationen, die Sie uns bis jetzt verschwiegen haben.«
Roger machte ein verwirrtes Gesicht.
»Verschwiegen? Ich habe Ihnen alles gesagt, wirklich alles!«
»O
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