Das krumme Haus
aber nun ein Abkömmling beide Charaktermerkmale erbt… verstehst du, was ich meine?«
Ich nickte.
»Na, kümmere dich nicht um diese verwickelten Dinge. Rede mit den Leuten. Ihr beide, du und Sophia, müsst die Wahrheit erfahren.« Als ich zur Tür ging, fügte er hinzu: »Aber Vorsicht mit dem Kind.«
»Mit Josephine? Soll sie nicht erfahren, was ich im Schilde führe?«
»Nein, das meinte ich nicht. Gib Acht auf sie. Ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.« Auf meinen verwunderten Blick hin fügte er hinzu: »Ich bitte dich, Charles, in dem Hause ist ein kaltblütiger Mörder. Josephine scheint manches zu wissen. Jedenfalls wusste sie über Roger Bescheid, wenn sie auch zu dem falschen Schluss gelangte, ihn für einen Betrüger zu halten. Kinder sind oft schlauer als Erwachsene. Stell ihr keine Fragen, sondern lass sie von sich aus reden; vielleicht erfährst du auf diese Weise noch mehr. Aber gib Acht auf sie. Möglich, dass sie sogar zu viel weiß und deshalb für jemanden gefährlich ist.«
13
M it einem leichten Schuldgefühl begab ich mich zu dem krummen Hause (so nannte ich es im Stillen). Ich hatte zwar berichtet, was mir durch Josephine über Roger zugetragen worden war, hingegen verschwiegen, dass Brenda und Laurence Brown einander Liebesbriefe schrieben. Ich entschuldigte mich deswegen vor mir selbst, indem ich mir weismachte, dass kein Anlass bestand, diese Aussage für wahr zu halten; aber im Grunde widerstrebte es mir, noch mehr Indizien gegen Brenda Leonides anzuhäufen. Ihre Stellung in dem Hause rührte mich – umgeben von einer feindlich eingestellten Familie, die eine geeinte Front gegen sie bildete. Wenn diese Liebesbriefe wirklich vorhanden waren, würde Taverner sie zweifellos aufspüren. Außerdem hatte Brenda mir ja versichert, dass ihre Beziehung zu Laurence durchaus harmlos sei, und ich neigte dazu, ihr eher zu glauben als der bösartigen Josephine. Hatte Brenda nicht selbst angedeutet, Josephine sei »nicht richtig im Kopf«?
Ich verdrängte meine unbehagliche Überzeugung, dass Josephine durchaus richtig im Kopf war. Ich wollte nicht an den intelligenten Ausdruck ihrer dunklen Augen denken.
Ich hatte Sophia angerufen und gefragt, ob ich kommen dürfe, und sie hatte mich sogar um meinen sofortigen Besuch gebeten, mit der Begründung, sie würde sonst noch verrückt, wenn sie nicht mit einem Menschen sprechen könnte.
Es war niemand in Sicht, als ich vor dem Hause vorfuhr. Ich wusste nicht recht, ob ich läuten oder einfach eintreten sollte. Die Haustür stand offen.
Während ich noch überlegte, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich wandte rasch den Kopf. Josephine stand, das Gesicht teilweise von einem großen Apfel verdeckt, in der Öffnung der Hecke und musterte mich. Als ich sie ansah, verschwand sie.
»Hallo, Josephine!«, rief ich.
Ich überquerte den Auffahrtsweg und folgte ihr. Sie saß auf der unbequemen Holzbank am Goldfischteich, ließ die Beine baumeln und biss in ihren Apfel, über dessen rosiger Rundung mich ihre Augen düster betrachteten, und zwar, wie mir schien, mit offenkundiger Feindseligkeit.
»Da bin ich wieder, Josephine«, sagte ich. Das war ein ungeschickter Anfang; aber ihr Schweigen und ihr starrer Blick machten mich nervös. Mit ausgesprochenem Sinn für Strategie gab sie noch immer keine Antwort.
»Ist der Apfel gut?«, erkundigte ich mich.
Diesmal geruhte sie zu antworten, allerdings höchst einsilbig: »Holzig.«
»Schade. Ich mag holzige Äpfel nicht.«
Josephine versetzte wütend: »Niemand mag holzige Äpfel.«
»Warum bist du vor mir davongelaufen?«
»Sie haben alles der Polizei weitererzählt.«
»Oh!« Ich war etwas verblüfft. »Meinst du, über…«
»Über Onkel Roger.«
»Aber es ist alles in Ordnung«, beteuerte ich. »Die Polizei weiß, dass er nichts Schlimmes getan hat. Er hat nämlich gar kein Geld unterschlagen oder etwas dergleichen gemacht.«
Josephine warf mir einen erbitterten Blick zu.
»Wie dumm Sie sind. So geht ein Detektiv nicht vor. Wissen Sie denn nicht, dass man der Polizei nie etwas verraten darf?«
»Ach so. Es tut mir wirklich leid, Josephine.«
»Ich habe Ihnen vertraut«, sagte sie vorwurfsvoll.
Ich entschuldigte mich nochmals, woraufhin sie etwas besänftigt schien. Sie biss abermals in den Apfel.
»Die Polizei hätte das alles ohnehin herausgefunden«, sagte ich. »Wir beide hätten das Geheimnis nicht wahren können.«
»Meinen Sie, weil er vor dem Bankrott steht?«
Wie üblich
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