Das krumme Haus
und trocken, als sie sagte: »Du warst sehr lange fort. Dein Vater hat angerufen. Er möchte mit dir sprechen. Du sollst nach Scotland Yard kommen.«
»Was mag er nur wollen?«
Sophia schüttelte den Kopf. In ihren Augen war Angst zu lesen.
Ich zog sie an mich.
»Sorg dich nicht, mein Liebes. Ich bin bald wieder hier.«
17
I m Büro meines Vaters lag eine gewisse Spannung in der Luft. Mein Alter Herr saß an seinem Schreibtisch; Chefinspektor Taverner lehnte am Fenster. In dem Sessel, der Besuchern vorbehalten war, saß Dr. Gaitskill mit besorgter Miene.
»… durchaus vertraulich zu behandeln«, sagte er gerade scharf.
»Natürlich, natürlich.« Die Stimme meines Vaters klang beschwichtigend. »Oh, da bist du ja schon, Charles. Es hat sich eine etwas überraschende Entwicklung ergeben.«
»Etwas Beispielloses«, sagte Gaitskill.
Irgendetwas hatte den kleinen Anwalt aufgewühlt. Hinter ihm stehend grinste Taverner mich an.
»Darf ich kurz rekapitulieren?«, begann mein Vater. »Dr. Gaitskill erhielt heute Früh eine überraschende Nachricht, und zwar von Mr Agrodopolous, dem Besitzer des Restaurants ›Delphos‹. Das ist ein sehr alter Mann, von Geburt Grieche, dem Aristide Leonides in seiner Jugend aus Freundschaft beigestanden hat. Er war seinem Freund und Wohltäter immer sehr dankbar, und es scheint, dass Aristide Leonides großes Vertrauen zu ihm hatte und viel von ihm hielt.«
»Ich hätte nie gedacht, dass Leonides ein so misstrauischer und verschwiegener Mensch wäre«, warf Gaitskill ein. »Allerdings war er in vorgerücktem Alter, und da werden ja manche Leute etwas absonderlich.«
»Die Nationalität ist entscheidend«, gab mein Vater freundlich zurück. »Im Alter beschäftigt man sich gern mit der Jugendzeit, und da erinnert man sich mit Vorliebe der ehemaligen Kameraden.«
»Aber ich war seit über vierzig Jahren Leonides’ Rechtsberater und hatte alle seine Angelegenheiten in der Hand«, widersprach der Anwalt.
Taverner grinste wieder.
»Was ist denn geschehen?«, fragte ich.
Gaitskill öffnete den Mund; aber mein Vater kam ihm zuvor: »Mr Agrodopolous teilte Dr. Gaitskill mit, dass ihm sein Freund Aristide Leonides bestimmte Anweisungen gegeben hätte. Kurz gesagt, Leonides hat ihm vor etwa einem Jahr einen versiegelten Umschlag anvertraut, den Agrodopolous sofort nach Leonides’ Tod Dr. Gaitskill übermitteln sollte. Falls Agrodopolous vorher sterben würde, sollte sein Sohn, ein Patenkind von Leonides, den Auftrag übernehmen. Agrodopolous entschuldigte sich wegen der Verzögerung; er lag mit einer Lungenentzündung zu Bett und erfuhr erst gestern Nachmittag vom Tod seines alten Freundes.«
»Das Ganze ist höchst unprofessionell«, ließ sich der Anwalt hören.
»Als Dr. Gaitskill den versiegelten Umschlag geöffnet und gesehen hatte, was darin war, hielt er es für seine Pflicht…«
»Unter den obwaltenden Umständen«, schaltete Gaitskill ein.
»Auch uns mit dem Inhalt bekannt zu machen. Er besteht aus einem rechtsgültigen, unterzeichneten Testament und einem Begleitbrief.«
»Das Testament ist also endlich aufgetaucht?«, sagte ich.
Gaitskill wurde rot.
»Es ist nicht dasselbe Testament«, schnaubte er. »Nicht das Testament, das ich auf Mr Leonides’ Wunsch hin aufgesetzt habe. Es ist von Hand geschrieben, ein sehr gefährliches Unternehmen für einen Laien. Offenbar wollte Mr Leonides mich zum Narren machen.«
»Er war sehr alt«, bemerkte Taverner, der anscheinend Balsam auf die Wunde streichen wollte. »Alte Leute werden manchmal ein bisschen wunderlich.«
»Dr. Gaitskill rief mich an«, fuhr mein Vater fort, »und nachdem ich in groben Zügen von dem Testament erfahren hatte, bat ich ihn, herzukommen und die beiden Schriftstücke mitzubringen. Dann rief ich dich sofort an, Charles.«
Ich begriff nicht ganz, warum er mich herbestellt hatte. Zu gegebener Zeit hätte ich vom Vorhandensein des Testaments ohnehin erfahren, und eigentlich ging es mich ja gar nichts an, wem der alte Leonides sein Vermögen vermacht hatte.
»Ist es ein anderes Testament?«, fragte ich. »Ich meine, verteilt sich die Erbschaft nun in anderer Weise?«
»O ja«, knurrte Gaitskill.
Mein Vater sah mich an. Taverner schaute absichtlich fort. Mir wurde aus irgendeinem Grunde etwas unbehaglich zu Mute. In den beiden ging etwas vor.
Ich wandte mich an Gaitskill und sagte: »Es geht mich zwar nichts an, aber…«
»Die testamentarischen Bestimmungen sind kein Geheimnis«, unterbrach
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