Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das krumme Haus

Das krumme Haus

Titel: Das krumme Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Flur schritt, hörte ich in Brendas Schlafzimmer ein Mädchen aufräumen, und aus dem Raum, der hinter dem Esszimmer lag, drang Ediths Stimme, die unverkennbar mit einem Lieferanten telefonierte. An Ediths Zimmern vorbei gelangte ich über eine Treppe zu dem großen Zimmer, das über den Räumen der Dienerschaft lag und als Schulzimmer diente.
    Vor der Tür blieb ich stehen. Drinnen sprach Laurence Brown mit leicht erhobener Stimme. Offenbar hatte mich Josephines Lauschsucht angesteckt. Ohne Scham legte ich das Ohr an die Türfüllung und horchte.
    Laurence Brown hielt gerade eine Geschichtsstunde ab und nahm das französische Direktorium durch. Es bedeutete für mich eine beträchtliche Überraschung festzustellen, dass Laurence ein vorzüglicher Lehrer war. Eigentlich hätte mich das gar nicht verwundern sollen, denn soviel wusste ich mittlerweile: Aristide Leonides hatte einen guten Blick für Menschen gehabt. Trotz seines unscheinbaren Äußeren verfügte Laurence entschieden über die Gabe, Vorstellungskraft und Begeisterungsfähigkeit seiner Schüler anzuregen. Seine Schilderungen waren außerordentlich lebendig und wirklichkeitsnah. Im Gegensatz zu Josephine, deren Stimme klang, als ob sie erkältet wäre, beantwortete Eustace alle Fragen des Lehrers mit einer Klarheit, die Intelligenz und Sinn für geschichtliche Zusammenhänge bewies.
    Dann wurden Stühle geschoben, und ich zog mich schleunigst zurück. Als die Tür sich öffnete, tat ich so, als schritte ich gerade die Treppe hinunter. Eustace und Josephine kamen heraus.
    »Guten Tag«, sagte ich.
    Eustace schien erstaunt zu sein.
    »Suchen Sie jemanden?«, fragte er höflich.
    Josephine, die von meiner Anwesenheit keine Notiz nahm, schlüpfte vorbei.
    »Ich wollte mir nur das Schulzimmer ansehen«, sagte ich.
    »Sie haben es doch schon gesehen. Früher war es übrigens das Kinderzimmer, und deshalb sind noch viele Spielsachen darin.«
    Eustace machte mir die Tür auf, und ich trat ein.
    Laurence Brown stand am Tisch. Er schaute auf, errötete, murmelte einen Gruß und eilte hinaus.
    »Sie haben ihn erschreckt«, sagte Eustace. »Er erschrickt sehr leicht.«
    »Magst du ihn, Eustace?«
    »Oh, er ist schon recht. Natürlich ein langweiliger Mensch.«
    »Aber kein schlechter Lehrer?«
    »Nein, er gibt sogar ganz interessanten Unterricht. Er weiß sehr viel. Durch ihn lernt man vieles anders zu betrachten. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass Heinrich VIII. Gedichte geschrieben hat.«
    Eine Weile erzählte er mir alles Mögliche, und ich entdeckte, dass Eustace, so mürrisch und verdrossen er wirken konnte, einen regen Geist und ausgesprochenen Wissensdurst hatte. Mir wurde auch klar, warum der Junge unzufrieden war. Durch seine Krankheit musste er auf vieles verzichten.
    »Es ist grässlich, immerzu zuhause zu sitzen und mit einem Kindskopf wie Josephine Stunden zu nehmen. Sie ist ja erst elf und hat ganz andere Interessen.«
    »Aber ihr habt doch nicht den gleichen Unterricht?«
    »Nein, sie lernt kein Latein und natürlich weniger Mathematik. Trotzdem macht es keinen Spaß, wenn man denselben Lehrer hat wie ein Mädchen.«
    Ich versuchte seinen verletzten männlichen Stolz zu beschwichtigen, indem ich bemerkte, Josephine sei für ihr Alter sehr weit. »Finden Sie? Ich finde sie dumm«, entgegnete Eustace hochmütig. »Da schnüffelt sie überall herum, weil sie sich einbildet, ein Detektiv zu sein, steckt ihre Nase in alles und macht Notizen. Albern. Übrigens sagte ich ihr, dass ein Mädchen kein Detektiv werden kann. Mutter hat ganz Recht, je früher Josephine in die Schweiz kommt, desto besser.«
    »Wird sie dir nicht fehlen?«
    »Dieses alberne Mädchen?«, rief Eustace verächtlich. »Nicht im Geringsten. Höchstens beneide ich sie, dass sie fort kann. Hier ist’s fürchterlich. Mutter saust immerzu in London herum, um einen Dramatiker zu finden, der ihr eine Rolle auf den Leib schreibt, und macht von allem und jedem ein Aufhebens. Vater ist so in seine Bücher vergraben, dass er nicht einmal hört, wenn man ihn anspricht. Ich weiß wirklich nicht, warum ich solche Eltern haben muss. Und dann Onkel Roger… er ist immer so herzlich, dass es einem graut. Tante Clemency ist in Ordnung; sie lässt einen wenigstens in Ruhe; aber manchmal kommt es mir vor, als ob sie ein bisschen spinnt. Tante Edith geht auch an, nur ist sie eben alt. Es ist hier etwas fröhlicher geworden, seit Sophia zurückgekommen ist, obwohl sie ziemlich streng sein kann. Ein

Weitere Kostenlose Bücher