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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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wenn es nicht zu Weisheit führt? Und was ist Weisheit anderes, als zu wissen, was richtig ist und worin das richtige Handeln besteht? Für einige Leute in dieser Zivilisation bist du beinahe ein Gott, Tsoldrin, und auch hier gilt wieder: ob es dir gefällt oder nicht. Wenn du nichts tust…, werden sie sich verlassen vorkommen. Sie werden verzweifelt sein. Und wer könnte es ihnen verübeln?«
    Er machte eine resignierende Handbewegung und legte anschließend beide Hände auf den Steinsockel, wobei er in den sich verdunkelnden Himmel blickte. Beychae schwieg.
    Er gab dem alten Mann noch eine Weile Zeit zum Nachdenken, dann ließ er den Blick über den abgeflachten, mit Stein gepflasterten Gipfel des Hügels und die seltsamen steinernen Gerätschaften schweifen. »Ein Observatorium, hast du gesagt?«
    »Ja«, bestätigte Beychae nach kurzem Zögern. Er berührte mit einer Hand einen der Steinsockel. »Man glaubte zunächst, es sei eine Bestattungsstätte gewesen, vor vier- oder fünftausend Jahren; dann schrieb man dem Ort irgendeine astrologische Bedeutung zu. Schließlich fand man heraus, dass die Vrehids dieses Observatorium bauten, um die Bewegungen der Monde, Planeten und Sterne zu erforschen. Es gibt Wasseruhren, Sonnenuhren, Sextanten, Planetenuhren, sogar Planetarien… Außerdem gibt es hier auch grobe Seismographen oder zumindest so etwas wie Erdbeben-Richtungsanzeiger.«
    »Hatte man auch Teleskope?«
    »Sehr unzulängliche, und erst etwa ein Jahrzehnt vor dem Untergang des Reiches. Die Ergebnisse, die ihnen die Teleskope lieferten, verursachten allerlei Probleme, da sie dem widersprachen, was sie bereits wussten oder zu wissen glaubten.«
    »Das lässt sich denken. Was ist das?« Auf einem der Sockel stand eine rostige Metallschale mit einer scharfkantigen Spindelachse in der Mitte.
    »Ein Kompass, glaube ich«, sagte Beychae. »Er funktioniert mittels Feldern.« Er lächelte.
    »Und das hier? Sieht wie ein Baumstumpf aus.« Es war ein gewaltiger, derber, leicht geriffelter Zylinder von vielleicht einem Meter Höhe und der doppelten Breite. Er klopfte auf die Kante. »Hmm. Stein.«
    »Aha!«, sagte Tsoldrin und gesellte sich zu ihm an den Steinzylinder. »Nun, wenn es das ist, wofür ich es halte… Ursprünglich war es ein Baumstumpf, natürlich…« Er fuhr mit der Hand über die Oberfläche des Steins und blickte um dessen Kante herum auf der Suche nach etwas. »Er ist versteinert, vor langer Zeit. Aber schau mal, man sieht noch immer die Ringe im Holz.«
    Er beugte sich dichter darüber und betrachtete die graue Steinfläche im schwindenden Nachmittagslicht. Die Wachstumsringe des vor langer Zeit abgestorbenen Baumes waren tatsächlich sichtbar. Er bückte sich, zog einen der zum Anzug gehörenden Handschuhe aus und strich mit bloßen Fingern über die Oberfläche des Steins. Der unterschiedliche Verwitterungsgrad des versteinerten Holzes hatte die Ringe ertastbar gemacht; seine Hände spürten die kleinen Rillen, die unter ihnen verliefen wie die Fingerabdrücke eines gewaltigen Steingottes.
    »So viele Jahre«, murmelte er und führte die Hand zurück zu der Mitte des Baumstumpfes, um dann erneut nach außen zu streichen. Beychae sagte nichts.
    Jedes Jahr war ein vollständiger Ring; Kennzeichen für gute oder schlechte Jahre waren die Abstände dazwischen. Jeder Ring war für sich vollkommen, hermetisch abgeschlossen. Jedes Jahr war wie der Teil eines Todesurteils, jeder Ring eine geschlossene Fessel, die die Vergangenheit in Ketten legte und ihrerseits daran angekettet war; jeder Ring war ein Wall, ein Gefängnis. Ein in Holz eingeschlossenes Todesurteil, jetzt in Stein eingeschlossen, zweimal erstarrt; ein zweimal ergangenes Urteil, einmal für eine vorstellbare Zeit, einmal für eine unvorstellbare Zeit. Seine Finger fuhren über die Steinwälle: trockenes Pergament über gerillten Fels.
    »Das ist nur die Abdeckung«, sagte Beychae von der anderen Seite her. Er kauerte nieder und suchte etwas an der Seite des großen Baumstumpfes. »Es müsste doch so etwas geben wie… Aha, da haben wir es ja. Natürlich rechne ich nicht damit, dass wir ihn wirklich anheben können…«
    »Abdeckung?«, wiederholte er und zog sich den Handschuh wieder an, während er um den Stumpf herum zu Beychae ging. »Abdeckung wofür?«
    »Eine Art Rätselspiel, das die Astronomen des Reiches zu betreiben pflegten, wenn es ein buntes Flickwerk von Ansichten gab«, erklärte Beychae. »Da, siehst du den Griff?«
    »Moment

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