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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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hatte.
    »Soviel ich weiß, gibt es so etwas bei uns nicht.« Sie lächelte. »War das dort üblich, wo Sie herkommen?«
    Das war doch schon mal passiert; gestern – oder nicht? Hatte er nicht auch gestern ihren Namen vergessen? Er lächelte. »Ich sollte eigentlich sagen, ich kann mich nicht erinnern«, antwortete er lächelnd. »Aber nein, ich glaube, dort gab es das auch nicht.«
    Er hatte ihren Namen gestern vergessen und vorgestern, doch er hatte sich einen Plan ausgedacht; er hatte etwas dagegen unternommen…
    »Vielleicht brauchte man dort so etwas nicht, bei Ihrem dicken Schädel!«
    Sie lächelte. Er lachte und versuchte sich zu erinnern, welches der Plan war, den er sich ausgedacht hatte. Er hatte etwas mit Blasen, mit Atmen zu tun, und mit Papier…
    »Vielleicht nicht«, stimmte er zu. Sein dicker Schädel, das war der Grund, weshalb er hier war. Ein dicker Schädel, dicker oder zumindest härter, als man es gewohnt war; ein dicker Schädel, der nicht vollkommen zerschmettert worden war, als jemand ihn in den Kopf geschossen hatte. (Aber warum, wenn er zu jenem Zeitpunkt doch gar nicht gekämpft hatte, wenn er auf seiner eigenen Seite gewesen war, unter seinen Piloten-Kollegen?)
    Gebrochen, das schon, gebrochen und angeknackst, aber nicht irreparabel zerschmettert…
    Er sah zur Seite, wo ein Nachtkästchen stand. Ein zusammengefaltetes Papier lag obendrauf.
    »Ermüden Sie sich nicht dadurch, dass Sie versuchen, sich an Dinge zu erinnern«, sagte die Schwester. »Vielleicht erinnern Sie sich an manche Dinge nicht, aber das macht doch nichts. Auch Ihr Gehirn muss heilen, verstehen Sie?«
    Er hörte ihr zu, nahm in sich auf, was sie sagte… Und doch versuchte er, sich an das zu erinnern, was er sich am Tag zuvor eingeprägt hatte; dieses kleine Stückchen Papier; er musste etwas damit machen. Er blies in seine Richtung; die oberste Ecke des gefalteten Papiers klappte hoch, sodass er sehen konnte, was auf der anderen Seite geschrieben stand: TALIBE. Das Papier sank wieder herunter. Er hatte es in einem solchen Winkel hingelegt – daran erinnerte er sich jetzt –, dass sie es nicht sehen konnte.
    Sie hieß Talibe. Natürlich; das klang vertraut.
    »Ich bin auf dem Weg der Genesung«, sagte er. »Aber es gab etwas, an das ich mich erinnern musste, Talibe. Es war wichtig, das weiß ich.«
    Sie stand auf und klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Vergessen Sie es. Sie dürfen sich keine Sorgen machen. Warum machen Sie nicht ein Nickerchen? Soll ich die Vorhänge zuziehen?«
    »Nein«, sagte er. »Können Sie nicht noch etwas bleiben, Talibe?«
    »Sie brauchen Ihre Ruhe, Cheradenine«, sagte sie und legte ihm eine Hand auf die Stirn. »Ich bin bald wieder da, um Ihre Temperatur zu messen und sie umzuziehen. Läuten Sie, wenn Sie sonst noch etwas brauchen.« Sie tätschelte seine Hand und entfernte sich, wobei sie den kleinen Stuhl mitnahm; sie blieb an der Tür stehen und drehte sich um. »Ach ja; habe ich eine Schere hier liegen lassen, als ich das letzte Mal Ihren Verband gewechselt habe?«
    Er sah sich um und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    Talibe zuckte die Achseln. »Na gut.« Sie verließ das Krankenzimmer; er hörte, wie sie den Stuhl im Korridor abstellte, während die Tür zufiel.
    Er schaute wieder zum Fenster.
    Talibe nahm jedes Mal den Stuhl wieder mit, weil er vollkommen durchgedreht war, als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, bei seinem ersten Erwachen. Auch danach, als sein geistiger Zustand sich etwas stabilisiert zu haben schien, hatte er jeden Morgen beim Erwachen gezittert und mit weit aufgerissenen Augen voller Angst den weißen Stuhl angestarrt, der neben seinem Bett stand. Also hatte man die paar Stühle des Krankenzimmers aus seinem Blickfeld geräumt, und Talibe oder die Ärzte brachten einen Stuhl vom Korridor mit herein, wenn sie zu ihm kamen.
    Er wünschte, er hätte das vergessen können, hätte den Stuhl und den Stuhlmacher vergessen können; hätte Staberinde vergessen können. Warum haftete das so gestochen scharf und frisch in seinem Gedächtnis, nach so vielen Jahren und einer so weiten Reise? Und andererseits war alles, was ihm vor ein paar Tagen widerfahren war – als jemand auf ihn geschossen und ihn vermeintlich tot im Hangar liegen gelassen hatte –, so düster und unklar, wie etwas, das er durch den Schneesturm sah.
    Er starrte zu den gefrorenen Wolken jenseits der Fensterscheibe hinaus, zu dem gestaltlosen Toben des Schnees. Seine Sinnlosigkeit

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