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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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konnte. Doch dann fiel ihm ein, dass das menschliche Gehirn auch nicht viel größer war als dieser kleine blaue Würfel, und dabei auf viel, viel ältere Quellen und Techniken zurückgriff und also nicht weniger eindrucksvoll war (und nicht weniger traurig).
    Er schloss die Frau wieder in ihrem eisigen Sarg ein und setzte seinen Zeitlupen-Spaziergang zum Mittelpunkt des Schiffes fort.
     
    »Ich kenne keine Geschichten.«
    »Jeder kennt Geschichten«, wies Ky ihn zurecht.
    »Ich nicht. Jedenfalls keine richtigen Geschichten.«
    »Was ist eine ›richtige‹ Geschichte?« Ky lächelte spöttisch. Sie saßen im Mannschaftsraum, umgeben von ihrem Müll.
    Er zuckte die Achseln. »Eine interessante. Eine, die die Leute hören wollen.«
    »Die Leute wollen ganz unterschiedliche Sachen hören. Was die eine Person als richtige Geschichte bezeichnet, wird jemand anderes vielleicht überhaupt nicht gefallen.«
    »Nun, ich kann nur danach gehen, was ich für eine richtige Geschichte halten würde, und so etwas habe ich nicht auf Lager. Jedenfalls keine Geschichten, die ich erzählen möchte.« Er lächelte Ky kühl an.
    »Ach so, das ist etwas anderes«, sagte Ky und nickte.
    »Allerdings ist es das.«
    »Nun gut, dann sag mir, woran du glaubst«, sagte Ky und beugte sich näher zu ihm.
    »Warum sollte ich das?«
    »Warum solltest du nicht? Sag es mir, weil ich dich danach gefragt habe.«
    »Nein.«
    »Sei doch nicht so abweisend. Wir sind für Millionen von Kilometern die einzigen drei Leute hier, und das Schiff ist sterbenslangweilig, was gibt es sonst hier an Unterhaltung?«
    »Nichts.«
    »Genau, nichts und niemanden.« Ky machte ein zufriedenes Gesicht.
    »Nein; ich habe gemeint, daran glaube ich: an nichts.«
    »Überhaupt an gar nichts?«
    Er nickte. Ky lehnte sich zurück und nickte nachdenklich. »Sie müssen dir sehr übel mitgespielt haben.«
    »Wer?«
    »Wer immer dir das geraubt hat, woran immer du geglaubt hast.«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Niemand hat mir jemals etwas geraubt«, sagte er. Ky schwieg eine Zeit lang, also seufzte er und sagte: »Nun, Ky, woran glaubst du?«
    Ky sah auf den leeren Bildschirm, der den größten Teil der einen Wand des Mannschaftsraumes bedeckte. »An etwas anderes als nichts.«
    »Alles, das einen Namen hat, ist etwas anderes als nichts«, sagte er.
    »Ich glaube an das, was uns umgibt«, sagte Ky und lehnte sich mit verschränkten Armen auf seinem Sitz zurück. »Ich glaube an das, was man vom Karussell aus sieht, was wir sehen würden, wenn dieser Bildschirm angeschaltet wäre, obwohl das, was du sehen würdest, nicht die einzige Art von Dingen wäre, von denen ich glaube, dass ich daran glaube.«
    »In einem Wort, Ky«, sagte er.
    »Leere«, antwortete Ky mit einem flackernden, zitternden Lächeln. »Ich glaube an die Leere.«
    Er lachte. »Das ist nicht weit von nichts entfernt.«
    »Eigentlich nicht«, bestätigte Ky.
    »So sieht es für die meisten für uns aus.«
    »Lass mich dir so etwas wie eine Geschichte erzählen.«
    »Muss das unbedingt sein?«
    »Nicht mehr, als es sein muss, dass du zuhörst.«
    »Na ja, gut. Alles hilft, die Zeit zu vertreiben.«
    »Die Geschichte geht folgendermaßen. Es ist übrigens eine wahre Geschichte, obwohl das egal ist. Es gibt einen Ort, an dem die Existenz oder Nichtexistenz von Seelen überaus ernst genommen wird. Viele Leute, ganze Akademien, Kollegien, Universitäten, Städte und sogar Staaten widmen ihre Zeit fast ausschließlich der Betrachtung und Behandlung dieser Frage und verwandter Themen.
    Vor etwa eintausend Jahren verkündete ein weiser Philosophen-König, der als der weiseste Mann der Welt angesehen wurde, dass die Leute zu viel Zeit damit verbrächten, über diese Dinge zu diskutieren, und ihre Energie, wenn die Angelegenheit einmal endgültig geregelt wäre, praktischeren Zwecken zuwenden könnten, zum Nutzen aller. Deshalb wollte er diese Auseinandersetzung ein für alle Mal beenden.
    Er berief die weisesten Männer und Frauen aus allen Teilen der Welt und von jeder bekannten Überzeugungsrichtung zu sich, um die Angelegenheit zu diskutieren.
    Es dauerte viele Jahre, jede einzelne Person herbeizuschaffen, die teilnehmen wollte, und die folgenden Debatten, Papiere, Traktate, Bücher, Intrigen und sogar Kämpfe und Morde nahmen noch viel mehr Zeit in Anspruch.
    Der Philosophen-König zog sich unterdessen in die Berge zurück, um die Jahre in der Einsamkeit zu verbringen und seinen Geist von allem Ballast zu befreien

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