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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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und so in der Lage zu sein, wie er hoffte, nach Beendigung aller Argumentation zurückzukehren und die Schlussentscheidung zu verkünden.
    Nach vielen Jahren ließ man den König holen, und als er sich bereit dazu fühlte, schenkte er jedem sein Ohr, der glaubte etwas über die Existenz der Seelen sagen zu können. Als alle ihren Teil vorgetragen hatten, zog sich der König zurück, um nachzudenken.
    Nach einem Jahr verkündete der König, dass er zu einer Entscheidung gelangt sei. Er sagte, die Antwort sei nicht ganz so einfach, wie man allgemein erwartet hatte, und er wolle ein Buch in mehreren Bänden veröffentlichen, um die Antwort zu erläutern.
    Der König bestimmte zwei Verlage, und jeder brachte einen dicken und gewaltigen Wälzer heraus. In einem wurden die Sätze: ›Seelen existieren. Seelen existieren nicht.‹ ständig wiederholt, Abschnitt um Abschnitt, Seite um Seite, Kapitel um Kapitel, Teil um Teil. Im anderen wurden die Worte wiederholt: ›Seelen existieren nicht. Seelen existieren.‹, und zwar auf die gleiche Weise. In der Sprache des Königs, muss ich hinzufügen, hatten beide Sätze jeweils dieselbe Anzahl an Worten, sogar dieselbe Anzahl von Buchstaben. Das waren die einzigen Worte, die nach der Titelseite auf all den tausenden von Seiten jedes Bandes zu finden waren.
    Der König hatte dafür gesorgt, dass der Druck und die Fertigstellung der Bücher zur selben Zeit stattfanden, und dass sie zur selben Zeit in derselben Auflagenhöhe erschienen. Keiner der beiden Verlage hatte irgendeinen wahrnehmbaren Vorzug oder eine Überlegenheit gegenüber dem anderen.
    Die Leute durchsuchten die Bände nach Hinweisen und Anhaltspunkten; sie suchten nach einer einzigen Wiederholung, gruben in den Büchern nach Stellen, wo vielleicht ein Satz oder auch nur ein Buchstabe ausgelassen oder verändert worden wäre, aber sie fanden nichts dergleichen. Sie wandten sich an den König persönlich, doch dieser hatte ein Schweigegelübde abgelegt und seine Schreibhand fesseln lassen. Er nickte oder schüttelte den Kopf in Beantwortung von Fragen, die das Regieren seines Reiches betrafen, aber zum Thema der beiden Bücher und zu der Existenz der Seele oder deren Nichtexistenz gab er keinerlei Zeichen von sich.
    Wütende Dispute begannen, viele Bücher wurden geschrieben, neue Kulte entstanden.
    Dann, ein halbes Jahr nach dem Erscheinen der beiden Bände, erschienen zwei weitere, und diesmal begann der Band des Verlages, dessen erster mit dem Satz ›Seelen existieren nicht‹ begonnen hatte, mit den Worten ›Seelen existieren‹. Beim anderen Verlag verlief es umgekehrt, sodass dessen Band mit ›Seelen existieren nicht‹ begann. Das wurde dann zu einem festen Muster.
    Der König wurde sehr alt und erlebte das Erscheinen mehrerer Dutzend Bände. Als er auf das Sterbelager gebettet war, stellte der Hofphilosoph Exemplare der Bände zu beiden Seiten davon auf, in der Hoffnung, der Kopf des Königs würde im Augenblick des Todes zur einen oder anderen Seite sacken, um so durch den ersten Satz des entsprechenden Bandes anzudeuten, zu welcher Schlussfolgerung er tatsächlich gelangt war… Aber als er starb, lag sein Kopf geradeaus gerichtet auf dem Kissen, und die Augen unter den Lidern blickten starr nach vorn.«
    »Das war vor tausend Jahren«, sagte Ky. »Die Bücher werden noch immer verlegt, es ist eine ganze Industrie daraus geworden, eine ganze Philosophierichtung, ein Quell endloser Argumentation und…«
    »Hat die Geschichte ein Ende?«, fragte er und hob eine Hand.
    »Nein.« Ky lächelte schelmisch. »Es gibt keins. Aber genau das ist die Pointe.«
    Er schüttelte den Kopf, stand auf und verließ den Mannschaftsraum.
    »Aber nur weil etwas kein Ende hat«, rief ihm Ky hinterher, »bedeutet das noch lange nicht, dass es auch keinen…«
    Er schloss draußen im Korridor die Aufzugtür. Ky schaukelte auf seinem Stuhl nach vorn und beobachtete, wie die Höhenanzeige des Aufzugs sich Richtung Mitte des Schiffs bewegte. »… Schluss hat«, sagte Ky leise.
     
    Er war fast schon ein Jahr lang wieder belebt, als er sich beinahe selbst umgebracht hätte.
    Er befand sich in der Aufzugkabine und beobachtete eine Taschenlampe, die er in der Mitte der Kabine platziert hatte und die sich langsam um die eigene Achse drehte. Er hatte die Taschenlampe brennen lassen und alle anderen Lichter gelöscht. Er sah zu, wie der kleine Lichtfleck langsam um die runde Wand der Kabine wanderte, langsam wie ein Uhrzeiger.
    Er

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