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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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tick-tack … Manchmal dauerte es so lange, dass alle anderen schließlich verstummten.
    Alles wurde so still um das Tick-tack und Tapp-tapp herum, dass ich mein Herz bis in den Kopf klopfen fühlte. Am Ende seufzte er und schickte mich mit einem Handwedeln zurück an meinen Platz: »Mein armer Chaazes , bei Ihnen ist wirklich Hopfen und Malz verloren …«
    Die anderen brachen in Gelächter aus, das entspannte sie. Und ich hätte sterben mögen. Oder ihn umbringen, wenn ich gekonnt hätte. Ihn umbringen, das wäre besser gewesen. Ihn mit meinen Riesenlatschen zertreten wie die mit Kreide vollgefressene Kakerlake, die er war. Abends, wenn ich im Bett lag, dachte ich an meine Mordgelüste, und das war dereinzige Moment des Tages, wo ich mich gut fühlte. Wenn ich nicht gewalttätig geworden bin – jedenfalls nicht mehr, als erlaubt ist –, dann verdanke ich das sicher nicht ihm. Manchmal sage ich mir, dass die Irren so geworden sind, weil man sie mit lauter Gemeinheiten dazu gebracht hat. Wenn Sie wollen, dass ein Hund böse wird, brauchen Sie ihn nur sinnlos zu prügeln. Bei einem Menschen ist es genauso, nur noch einfacher. Den braucht man nicht mal zu schlagen. Sich über ihn lustig zu machen reicht völlig.
    In der Grundschule gibt es Kinder, die ihr Einmaleins und ihre unregelmäßigen Verben lernen. Ich dagegen habe viel nützlichere Dinge gelernt: dass die Stärkeren gern auf den Schwächeren herumtrampeln und sie als Fußabtreter benutzen. Das ist es, was ich in meinen Schuljahren an Wissen erworben habe. Und das alles wegen einem Mistkerl, der Kinder nicht leiden konnte. Mich jedenfalls konnte er nicht leiden. Vielleicht hätte mein Leben mit einem anderen Lehrer ganz anders ausgesehen – wer weiß? Ich sage nicht, dass ich wegen diesem Kerl ein Dummkopf bin, das war ich sicher schon vorher. Aber er hat mir ganz schön Steine in den Weg gelegt. Ich werde den Gedanken nicht los, dass ein anderer mir vielleicht ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt hätte. Damit ich weiterkomme, statt ständig zu stolpern, bis ich mich kaum mehr aufrappeln konnte. Aber es war eben Pech, es gab damals in der Schule nur zwei Klassen. Die Klasse der Kleinen und die der Großen. Monsieur Bayle, den hatten wir von acht bis zehn am Hals. (Elf, was mich anging.) Ich bin nicht der Einzige, der unter ihm gelitten hat, ich weiß. Er hat mehr als einen vermurkst, der alte Bayle mit seiner Bosheit, seiner Dummheit. Er hatte die Weisheit mit Löffeln gefressen. Immer schaute er auf uns herunter, was nicht schwer war, wir waren ja nur Knirpse und hatten von nichts eine Ahnung.Und statt sich darüber zu freuen, was er uns alles beibringen könnte, hatte er nichts Besseres zu tun, als die Schwachen, die Schlechten, alle, die ihn wirklich brauchten, zu demütigen.
    Zu so viel Blödheit braucht man Talent, finde ich.

 
    M an kann sagen, was man will, aber für ein Kind ist es kein Glück, in die Schule zu gehen. Die Leute, die so was behaupten, können Kinder nicht leiden, oder sie erinnern sich nicht mehr, dass sie auch mal klein waren.
    Was Kinder wollen, ist Gründlinge angeln gehen und auf den Bahngleisen Schottersperren bauen, um Güterzüge entgleisen zu lassen – auch wenn jeder weiß, dass das nicht funktioniert. Oder vom Ufer aus die Brückenpfeiler hochklettern (was auch nicht geht, wegen der Überhöhung). Vom höchsten Punkt der Friedhofsmauer springen, auf einem unbebauten Gelände Feuer machen, an Türen klopfen und schnell wegrennen. Den Kleineren Ziegenköttel statt Lakritzbonbons andrehen. Solche Sachen, wissen Sie?
    Als Kind will man ein Held sein, sonst nichts.
    Wenn die Eltern nicht ständig hinter einem her sind und einem eintrichtern, dass die Schule wichtig ist, dass man hingehen muss und damit basta, tja, dann geht man eben nicht hin – ich jedenfalls – oder zumindest so wenig wie möglich.
    In der Hinsicht war meine Mutter nicht streng. Sie hätte mir den Besen auf dem Kopf kaputt geschlagen, wenn ich im Hausflur Matschspuren hinterlassen hätte, aber dass ich nicht Lesen oder Schreiben lernte, war ihr völlig egal, glaube ich. Wenn ich um fünf nach Hause kam, schaute sie mich kaum an. Ihre ersten Worte waren: »Hast du das Brot mitgebracht?«
    Und die nächsten: »Lass deinen Krempel nicht im Weg rumliegen! Räum deine Tasche weg!«
    Das musste man mir nicht zweimal sagen. Ich warf die Schultasche neben meinem Bett auf den Boden, vergaß die Hausaufgaben und ging mit meinen Freunden spielen, oder

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