Das Labyrinth der Wörter
Also habe ich mich ans Aufräumen gemacht. Dabei ist mir klargeworden, dass ich nicht viel Wichtiges zu behalten hatte. Ich schleppte einen ganzen Haufen Gerümpel mit mir rum. Die Spielshows im Fernsehen, die Witze im Radio, das Gequatsche mit Jojo Zekouc in der Kneipe Chez Francine. Das Kartenspielen mit Marco, Julien undLandremont. Und dann die Abende, wo ich zu Annette ging, um mit ein paar Liebesworten zu vögeln. Aber das ist sogar gut, um den Kopf freizukriegen: Mit Druck auf den Eiern kann man nicht denken. Jedenfalls nicht richtig und mit Tiefgang.
Von Annette erzähle ich ein anderes Mal. Zwischen ihr und mir ist es auch nicht mehr so wie früher.
A ls ich Margueritte zum ersten Mal gesehen habe, saß sie auf der Bank da drüben. Unter der dicken Linde neben dem Wasserbecken. Es muss so gegen drei Uhr nachmittags gewesen sein, strahlender Sonnenschein, zu warm für die Jahreszeit. Das ist nicht gut für die Bäume: Sie treiben auf Teufel komm raus, und wenn es dann noch mal friert, gehen die Blüten ein, und es gibt kaum Früchte.
Sie war angezogen wie immer. Das konnte ich damals natürlich nicht wissen, dass sie sich immer so anzog. Die Gewohnheiten der Leute kennt man ja erst, wenn man die Leute kennt. Beim ersten Mal hat man noch keine Ahnung, wie es weitergeht. Man weiß nicht, ob man sich lieben, ob man sich später einmal an den ersten Tag erinnern wird. Ob man sich am Ende beschimpfen oder sogar prügeln wird. Oder ob man Freunde wird. Und die vielen anderen Oders und Wenns . Und die Vielleichts .
Die Vielleichts , das sind die Schlimmsten.
Margueritte saß einfach da und schaute Löcher in die Luft. Direkt vor der Rasenfläche am Ende der Hauptallee. Sie trug ein Kleid, das mit grauen und lila Blumen in der gleichen Farbe wie ihr Haar bedruckt war, eine bis oben zugeknöpfte graue Strickjacke, dazu dunkle Strümpfe und Schuhe. Neben ihr stand eine schwarze Tasche.
Ich habe mir gesagt, dass sie unvorsichtig war. So eine abgestellte Tasche, die klaue ich doch mit links. Wenn ich ich sage, meine ich natürlich nicht mich. Ich steht hier für die Leute . Das Gesindel, genauer gesagt. Zumal so eine kleine Alte leicht abzuhängen ist. Du musst sie bloß mal kräftig mit der flachen Hand schubsen, und das war’s dann schon: Sie fällt mit einem kleinen Schrei hin, holt sich einen Oberschenkelhalsbruch und bleibt halbtot liegen, und du – nicht Sie oder ich natürlich, das Gesindel –, du kannst in aller Ruhe abhauen, bist schon längst über alle Berge. Fragen Sie mich nicht, wo ich das alles hernehme. Egal, sie war jedenfalls unvorsichtig.
An diesem Montag, wo ich sie kennengelernt habe, hätte ich genauso gut auch nicht in den Park kommen können. Ich hätte beschäftigt sein, keine freie Minute haben können. Was glauben Sie denn? Es gibt Tage, an denen ich Sachen zu tun habe: den Stamm der jungen Pinien, die sie am Rand der Umgehungsstraße gepflanzt haben, mit meinen Händen abmessen, um das Baumsterben zu überwachen (die Hälfte von denen geht ein, da bin ich mir sicher, deshalb kontrolliere ich das. Kein Wunder übrigens, dass sie eingehen, wenn man sich anschaut, wie die Grünflächenleute von der Gemeinde rumstümpern!). Trainieren, so lange wie möglich zu rennen oder vor meinem Wohnwagen mit der Schrotflinte auf leere Dosen zu schießen. Wegen der Ausdauer und den Reflexen, falls ich eines Tages mal einem Attentat entkommen oder Leute retten muss – besser, man ist da vorbereitet. Und einen Haufen anderer Sachen. Verschiedenste andere Sachen. Zum Beispiel schnitze ich mit meinem Taschenmesser. Ich mache Tiere, kleine Figuren aus Holz. Leute, die ich auf der Straße sehe, Katzen, Hunde, egal was.
Oder ich gehe in den Park und zähle die Tauben.
Im Vorbeigehen nutze ich die Gelegenheit, um am Gefallenendenkmal meinen Namen in Großbuchstaben auf dieMarmorplatte unter dem Soldaten zu schreiben. Natürlich kommt jedes Mal jemand von der Gemeinde, der ihn wieder wegmacht und mich zusammenscheißt: »Germain, jetzt hör doch mal auf mit dem Blödsinn, ich hab die Schnauze voll! Nächstes Mal machst du das selbst sauber!«
Dabei sind das Eddings »mit unauslöschlicher Tinte« – die sich nicht auslöschen lässt / siehe: wisch- und wasserfest –, und die waren sauteuer. Das werde ich denen sagen, im Schreibwarenladen, dass das Verarschung ist. »Alle Oberflächen« steht drauf, das ist doch Betrug. Marmor ist eine Oberfläche, soweit ich weiß – wie Margueritte sagen
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