Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
Vom Netzwerk:
ich weniger denken.
    Trotzdem – und das habe ich seit Margueritte kapiert, glaube ich –, es kann schon nützlich sein, die richtigen Wörter parat zu haben, wenn man sich ausdrücken will.
    Vertraute , das war das Wort, das ich an dem Tag suchte. Andererseits hätte das, wenn ich es gekannt hätte, auch nicht viel geändert. An meinen Gefühlen, meine ich.

 
    A n dem Montag also habe ich Margueritte alle Vornamen von meinen Vögeln gesagt. Zumindest von denen, die da waren, insgesamt sind es nämlich sechsundzwanzig, die auf die große Rasenfläche kommen. Ich rede hier nur von den Stammgästen, die Gelegenheitsbesucher nicht mitgezählt, die ab und zu eine Notlandung hinlegen, sich auf die Krümel stürzen wie die letzten Lümmel und von den anderen weggehackt werden. Ich habe angefangen: »Das da ist Pierrot. Die daneben heißt Dickkopf … Fliege, Räuber, Hühnchen … Die dort, das ist Verdun. Die kleine braune: Capucine … Da drüben: Cachou … Prinzessin … Margueritte …«
    »Wie ich!«, hat sie gesagt.
    »Was?«
    »Ich heiße auch Margueritte.«
    Ich fand das lustig, die Vorstellung, dass ich mit einer Margueritte redete, während eine andere, von Kopf bis Schwanz gefiedert, zu meinen Füßen an einem Apfelrest herumpickte.
    Ich habe mir gesagt: Was für ein Zufall !
    Das ist ein Ausdruck, den ich erst seit kurzem richtig verstehe: Jedes Mal, wenn Landremont bei Francine reinkommt und mich am Tresen sieht, wo ich mit Jojo Zekouc ein Gläschen trinke, haut er mir auf die Schulter und sagt: »Na so was! Germain in der Kneipe? Was für ein Zufall!«
    Ich dachte immer, das wäre eine Art, mir zu sagen: »Hallo, schön, dich hier zu treffen!« Aber nein, es heißt nur, dass er in mir einen armen Säufer sieht, der am Tresen festhängt wie eine Miesmuschel an ihrem Fels. Jojo war es, der mir eines Morgens den echten Sinn erklärt hat. Er hat gemeint: »Tja, sieht so aus, als würde unser Freund Landremont uns wirklich für Schnapsnasen halten!«
    Ich habe gefragt, warum. Er hat es mir gesagt.
    Landremont ist kein Kumpel. Er kann eine Woche lang mit dir Karten spielen und dich wie einen Bruder behandeln, und dann, samstags beim Fest, haut er dir einfach so eine rein. Wenn er zu viel trinkt, ist er nicht mehr er selbst.
    Wenn Marco von Landremont spricht, nennt er ihn oft die »Wetterfahne«. Jojo sagt, er wäre »von wechselnden Winden beherrscht«. Francine findet ihn »grillenhaft«. Früher dachte ich, das heißt dumm wie eine Grille, und das fand ich ziemlich passend. Aber die andere Erklärung passt auch gut: schwankenden Launen unterworfen / siehe: flatterhaft, unstet, wankelmütig.
    Dabei ist es sicher er, von dem ich am meisten gelernt habe. Vor Margueritte. Landremont hat eine Menge gelesen. Bei ihm zu Hause ist alles voller Bücher. Nicht nur auf dem Klo, und nicht nur mit Zeitschriften.
    Er könnte es locker mit Jacques Devallée aufnehmen. Und vielleicht sogar mit dem Bürgermeister, wer weiß?

 
    L andremont ist ein nervöser Typ, klein und sehnig. Er hat eine Stirnglatze und haarige Arme. Eine dichte Behaarung, weder richtig weiß noch gelb.
    Seine arme Frau ist an Eierstockkrebs draufgegangen, was für eine Scheißkrankheit … Seitdem versucht er seinen Kummer zu ertränken und macht sich die Leber kaputt, aber hinterrücks, auf die scheinheilige Tour. Mit uns trinkt er nur ein Bier, ein Gläschen Weißwein, einen Pastis, als ob nichts wäre. Er macht sogar Bemerkungen wie: »Na so was?! Was für ein Zufall!«
    Trotzdem weiß jeder genau, was Sache ist, spätestens seit Marcos Panne.
    Eines Abends war Marco bei seiner Schwester und seinem Schwager zum Essen eingeladen. Und als er gerade zu ihnen losfahren will, lässt ihn sein Mercedes im Stich. Marco ist zu Landremont rübergegangen und hat an die Tür geklopft, zehn Minuten lang, damit der ihm endlich aufmacht. Er hat nicht lockergelassen, weil er Licht sah und den Fernseher hörte. Und weil sie ja Nachbarn sind, wusste er genau, dass er zu Hause war. Wie auch immer, am Ende hat Landremont jedenfalls aufgemacht …
    Und am nächsten Tag hat Marco uns alles erzählt.
    »Mannomann, Jungs, gestern Abend hab ich gedacht, ich seh einen Zombie! Landremont hatte vielleicht einen in derKrone …! Ich hab ihm gesagt, dass er mir unbedingt aus der Patsche helfen muss, ich bräuchte dringend mein Auto und es wollte nicht anspringen. Dass es vielleicht ein Kolbenfresser wäre oder eine Zylinderkopfdichtung oder sonst was, ich hab ja

Weitere Kostenlose Bücher