Das Labyrinth der Wörter
einer, Germain …!«
Es war klar, dass mir bei der Sache irgendwas entging.
Es nervte mich, dass ich nicht richtig verstand, was los war. Dabei war das nicht das erste Mal: Ich habe oft das Gefühl, dass die Leute über meinen Kopf hinwegreden (wie man so schön sagt, obwohl das bei meiner Größe nicht gutgeht). Manchmal kapiere ich alles. Manchmal nur einen Teil. Aber meistens eher wenig.
Als ich klein war, nannte meine Mutter mich den »glücklichen Schwachkopf«. Aber das stimmte nicht, ich war nicht glücklich. Ein Schwachkopf, meinetwegen. Aber glücklich überhaupt nicht.
Landremont sagt, ich wäre intelligent genug, um zu sehen, wie dumm ich bin, und dass mein ganzes Elend daher kommt. Ich glaube, er hat recht, obwohl es vielleicht kein Kompliment ist, wenn ich es mir richtig überlege. Jedenfalls spüre ich, wenn ich etwas nicht kapiere.
Annette sagt, bei ihr ist es genauso, aber nur, was Zahlen und Rechnen angeht.
Meine Mutter nannte mich auch »Idiot« oder »Esel«. Und als ich anfing zu wachsen: »Großer Trottel«.
Sie hatte »keine besonders mütterliche Ader«, wie mein Kumpel Julien sagt.
Julien war schon in der Grundschule mein bester Freund. Er begleitete mich oft nach Hause. Dann spielten wir abends zusammen. Das war, bevor ich abgehauen bin und die Alte ihren Fotoalben und ihrem Ausschneidefimmel überlassen habe, um mein eigenes Leben zu leben.
Wenn Julien kam, konnte er mit eigenen Augen sehen, dass meine Mutter diese Ader nicht hatte. Dabei hat es mir nie an was gefehlt, in Sachen Nahrung oder Hygiene. Aber so, wie sie mir die Suppe serviert hat, da kam mir der Teller vor wie ein Blechnapf. Und Ohrfeigen, da kann man sagen, was man will, haben noch nie jemandem »den Kopf zurechtgerückt«. Entweder man hat ihn am rechten Fleck oder eben nicht. Ohrfeigen tun weh, das ist alles.
Und das Schlimmste bei dem Ganzen ist, dass du dich zusammenreißt, um nicht zurückzuschlagen, auch wenn du zwei Köpfe größer bist und sie mit einem einzigen Schubserzum Schweigen bringen oder gegen die Wand knallen könntest.
Wie auch immer, wenn es eine Sache gibt, die ich meiner Mutter nicht vorwerfen kann, dann, dass sie verlogen war. Das nun wirklich nicht. Sie hat mir immer gesagt, was sie über mich dachte. Deswegen kann ich mich aber noch lange nicht daran gewöhnen.
I ch hatte diese Geschichte noch nicht aufgeklärt, als Landremont die Kneipe betrat. Ich habe ihn zu uns nach hinten gepfiffen und gefragt: »Findest du nicht auch, dass Jojo guten Grund hatte, Koch zu werden, bei seinem Nachnamen?«
Landremont hat mich mit verständnisloser Miene angeschaut. Und dann hat er plötzlich gerufen: »Ach so! ›Pelletier‹! Du meinst wegen dem Knusperbrot, das so heißt?«Pelletier musste der Name seiner Mutter sein und Zekouc der seines Vaters. Das klingt ja etwas arabisch – auch wenn es angeblich Englisch ist –, und er wollte vielleicht nicht, dass jeder Bescheid weiß. Dabei ist Francine kein bisschen rassistisch. Das kann Youssef bestätigen.
Ich habe Landremont geantwortet: »Nein, ich rede von seinem anderen Namen. Wobei Pelletier auch lustig ist, stimmt. Aber Zekouc , das heißt auf Englisch ›der Koch‹, falls du das nicht weißt!«
Ich war stolz wie sonst was.
Landremont hat losgelacht. Er hat mir auf die Schulter geklopft und gemeint: »Mannomann, bist du vielleicht vernagelt! Alle Achtung, gut isoliert, total wasserdicht! Nix im Schädel und keine Chance, dass sich das mal ändert …«
»Hör auf!«, hat Jojo gesagt.
Landremont hat so sehr gelacht, dass ihm die Tränen kamen.
Jojo hat sich geräuspert. Ich habe gespürt, dass es ihm peinlich war. Er hat so ein Gesicht gemacht, wie man es kleinen Kindern gegenüber aufsetzt, wenn man ihnen was erklären will. Wenn man auf die Art mit mir redet, macht mich das so was von rasend, das können Sie sich gar nicht vorstellen.
»Germain, ich heiße Pel-le-tier. Joël Pelletier. Man nennt mich The Cook , eben weil ich Koch bin … Aber das ist nur ein Spitzname, verstehst du?«
»Ach so, ja klar, das wusste ich natürlich, was glaubst du denn?«
Er hat mir zugezwinkert. »Klar wusstest du das. Wenn ich es erkläre, dann für Landremont.«
»Für wen denn sonst?«, hat der gesagt.
Und dann haben wir über andere Dinge geredet.
Aber die Sache ging mir weiter im Kopf herum, auch wenn ich es nicht zeigte.
Es macht einen auf die Dauer echt fertig, das Leben »ohne Decoder zu betrachten«, wie Marco manchmal sagt.
Wenn
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