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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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würde, die immer so gepflegt redet.
    Wie auch immer, sobald mein Name ausgelöscht ist, muss ich eben wieder von vorn anfangen. Ist nicht schlimm, ich bin geduldig. Irgendwann bleibt er vielleicht stehen.
    Ich weiß auch wirklich nicht, wen das stören sollte, dass ich meinen Namen noch dazusetze: Ich schreibe ihn ganz unten hin. Nicht einmal in der alphabetischen Reihenfolge, dabei könnte ich da pingelig sein, Chazes kommt nämlich nicht am Ende, ganz und gar nicht. Ich könnte mich an die fünfte Stelle setzen auf ihrer Liste!
    Zwischen Pierre Boisverte und Ernest Combereau.
    Das habe ich eines Tages zu Jacques Devallée gesagt, der im Rathaus ein hohes Tier ist. Er hat genickt und gemeint, ich hätte im Grunde nicht unrecht, Namenslisten wären tatsächlich dazu da, dass man Namen draufschreibt.
    »Gleichwohl«, hat er hinzugefügt, »gleichwohl gibt es da ein Detail zu berücksichtigen …«
    »Ach ja, und das wäre?«
    »Nun, wenn du etwas genauer hinsiehst, wirst du bemerken, dass all die, deren Namen auf dem Gefallenendenkmal eingraviert sind, eines gemeinsam haben: Sie sind tot.«
    »Aha, so ist das! Das heißt, um draufstehen zu dürfen, muss man ins Gras gebissen haben?«
    »In der Tat, das ist gewissermaßen gemeint …«
    Und obwohl er so überlegen dreingeschaut hat, habe ich ihm gesagt, wenn ich erst mal tot wäre, dann müssten sie mich wohl oder übel auch eingravieren, auf ihrer verdammten Liste.
    »Und warum?«
    »Weil ich ein Papier für den Notar schreiben werde. Ich werde ihm sagen, er soll das in mein Testament aufnehmen. Der letzte Wille eines Verstorbenen, da muss man sich dran halten.«
    »Nicht unbedingt, Germain. Nicht unbedingt …«
    Trotzdem, ich weiß, was ich sage. Ich habe auf dem Heimweg darüber nachgedacht: Nach meinem Tod (wann immer es dem Herrn beliebt, Seine Stunde wird die meine sein) will ich, dass man meinen Namen draufschreibt. An die fünfte Stelle. Die fünfte von oben, denn da gehört er hin, da soll mich keiner übers Ohr hauen! Sollen sie sehen, wie sie das hinkriegen, die Lackaffen von der Gemeinde. Ein Testament ist ein Testament, basta! Jawohl, habe ich mir gesagt, ich werde dieses Papier schreiben. Und ich werde verlangen, dass Devallée mich persönlich eingraviert, nur um ihn zu ärgern. Ich werde zu Monsieur Olivier gehen, um die Sache mit ihm zu besprechen. Der ist Notar, der wird schon wissen, was zu tun ist, oder?

 
    A ber an diesem Montag, wo ich Margueritte kennengelernt habe, da dachte ich nicht an das Gefallenendenkmal, da hatte ich andere Sachen im Kopf. Ich hatte beschlossen, Blumensamen zu kaufen und auf dem Rückweg dann im Park vorbeizugehen, um die Tauben zu zählen. Das ist viel schwieriger, als es aussieht: Auch wenn man sich ganz vorsichtig nähert und sich kein bisschen rührt, während man sie zählt, flattern sie ständig rum, alle durcheinander. Dagegen kann man nichts machen. Ein bisschen nerven sie, diese Tauben.
    Wenn das so weitergeht, werde ich nur noch die Schwäne zählen. Erstens bewegen die sich weniger, und außerdem ist es einfacher: Es sind nur drei.
    Margueritte saß also auf dieser Bank unter der Linde, vor der Rasenfläche. Als ich die kleine Alte gesehen habe, die so aussah, als wäre sie eine von denen, die den Tauben Brot zuwerfen, um sie anzulocken, ist mir fast die Lust vergangen. Wieder ein Tag im Eimer, habe ich gedacht. Meine Vogelzählung kann ich auf morgen verschieben. Oder auf jeden anderen Tag, der dem Herrn in Seiner Gnade recht sein wird.
    Um die Tauben zu zählen, braucht man Ruhe. Wenn da jemand kommt und sie stört, kann man es gleich vergessen. Sie reagieren sehr empfindlich auf Blicke, diese Vögel. Es ist unglaublich, wie sie darauf anspringen! Eingebildet sogar, könnte man sagen. Kaum interessiert sich jemand für sie, fangen sie an rumzuhüpfen, rumzuflattern, den Kropf aufzublasen …
    Aber dann war es gar nicht so. So kann man sich täuschen. Über die Leute, den Herrn im Himmel, alte Frauen und die Tauben.
    Sie haben ihr nicht ihr Theater vorgespielt. Sie sind alle schön zusammengeblieben, ganz brav. Sie hat ihnen keine Zwiebackkrümel hingeworfen und nicht mit zittriger Stimme putt-putt-putt gerufen.
    Sie hat mich nicht aus dem Augenwinkel gemustert, wie es die Leute sonst immer tun, wenn ich zähle.
    Sie ist ganz still sitzen geblieben. Erst in dem Moment, wo ich gerade wieder gehen wollte, hat sie gesagt: »Neunzehn.«
    Da ich nur ein paar Meter entfernt war, habe ich sie genau gehört.

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